Es gibt bei den frühen Christen keine Verteidigung des leeren Grabs von Jesus

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Simon Garrecht
veröffentlicht am 1.12.2023

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Die im Neuen Testament enthaltenen Briefe sind zu einem großen Teil Situationsschreiben, die erforderlich waren, um Lehren, welche der christlichen Orthodoxie widersprachen, zu korrigieren, Missstände in Gemeinden zu beheben und auf Vorwürfe verschiedener jüdischer und heidnischer Gegner zu antworten. Damit geben die neutestamentlichen Dokumente einen Einblick in die Auseinandersetzungen, in welche die frühe Kirche verwickelt war - Kontroversen um das leere Grab Jesu schienen nicht dazuzugehören.

Paulus richtete sich an die Gemeinden in Galatien, um deren falsche Stellung zum Gesetz zu korrigieren (Gal 1,6f), verteidigte sich gegenüber Kritikern seiner Person und Lebenspraxis (1. Kor 9,3f) und wandte sich gegen gnostische Einflüsse auf die Christenheit (1. Tim 6,20). Der 2. Petrusbrief (3,4f) wendet sich an jene, welche über die ausbleibende Parusie spotteten und in der Apostelgeschichte lesen wir von zahlreichen Vorwürfen, die den Christen gemacht wurden (siehe z.B. 4,1f.; 7,1f.; 18,12f.; 21,27f.; 24,1f.; 25,1f.). Allerdings finden sich praktisch keine Hinweise im Neuen Testament oder anderen frühchristlichen Schriften, dass deren Autoren es als nötig erachteten, sich mit Vorwürfen auseinanderzusetzen, die Auferstehung Jesu inszeniert zu haben oder eine Botschaft zu predigen, die haltlos wäre, da das Grab Jesu noch voll sei (Craig 2001:Pos. 251). Dies lässt sich am besten damit erklären, dass dieser Vorwurf den Jüngern schlicht nicht gemacht wurde und es nie zur Debatte stand, ob das Grab Jesu tatsächlich leer war. 

Innerhalb des Neuen Testaments bildet hierbei Mt 28,11-15 eine Ausnahme, wo berichtet wird, dass unter den Juden im 1. Jhd. das Gerücht entstand und sich verbreitete: Es besagt, die Jünger hätten, während die Wachen geschlafen haben, bei Nacht den Leichnam Jesu aus dem Grab entnommen, um dessen Auferstehung zu inszenieren. Matthäus fügte hieran die Bemerkung: "Und diese Rede verbreitete sich bei den Juden bis auf den heutigen Tag.“ (Mt 28,15). Scheinbar erachtete Matthäus es als notwendig, diese wohl oft gemachte Behauptung zu widerlegen. William Lane Craig bemerkt hierzu, dass selbst aus dieser frühchristlichen Apologetik interessanterweise eben nicht hervorgeht, dass das Grab Jesu noch von dessen Leichnam gefüllt war, sondern vielmehr versucht wurde, alternative Erklärungsmodelle dafür zu finden (Craig 2001:Pos. 251). Aus verschiedenen Gründen ist diese Behauptung abwegig. 

Zum einen scheint es, unabhängig davon, ob es sich um jüdische oder römische Wachen handelte, recht unwahrscheinlich, dass die Soldaten, die zu dem Zweck eingesetzt wurden, das Grab vor Grabräubern zu bewachen, ihren Dienst geschlossen so unzuverlässig ausübten. Außerdem hätten Sie sich mit dem Geständnis, am Grab geschlafen zu haben, selbst in große Schwierigkeiten gebracht. Ein anderer gewichtiger Grund besteht in der Tatsache, dass die Jünger keine augenscheinlichen Vorteile davon hatten, die Auferstehung zu inszenieren (Mt 27,62-66). Selbst Lüdemann schreibt hierzu, dass die grenzenlos enttäuschten Jünger zu solch einem Betrug nicht mehr fähig gewesen wären und weder die hier berichtete Überlieferung historisch ernst genommen werden könne, noch die Vorstellung von einem Diebstahl des Leichnams als solchem (Lüdemann 1994:157). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Nennung von Jesu Bruder Jakobus unter den ersten Zeugen der Auferstehung (1. Kor 15,7). Nach den Evangelienberichten glaubte er zuerst nicht an Jesus (Mk 3,21.31-35; Joh 7,5), sodass angenommen werden kann, dass es erst die Erscheinung des auferstandenen Jesus war, welche ihm seine Skepsis nahm und zum Glauben an Jesus führte. Die Hypothese, dass die Auferstehung inszeniert wurde, kommt auch hier an ihre logischen Grenzen, da schwerlich angenommen werden kann, dass Jakobus an einer solchen mitgewirkt hätte. Überhaupt zeigt die Tatsache, dass diese Hypothese von keinem nennenswerten Gelehrten außer von dem frühen Aufklärer und Deisten Herrmann Reimarus (1694 - 1768) vertreten wurde, dass selbst Kritiker sie nicht für überzeugend halten (Habermas 2009:Pos. 530).

Auch in den Schriften der frühchristlichen Apologeten des 2. und 3. Jahrhunderts finden wir keine Verteidigungsreden zur Faktizität des leeren Grabes und das, obwohl sie sich hier zu einer Vielzahl von Vorwürfen und Anschuldigungen der jüdischen und heidnischen Gegner des Christentums äußerten. Die Vorwürfe in heidnischen Streitschriften und Volksmund erstreckten sich auf verschiedene Bereiche. Ihnen wurden Kultur- und Bildungsfeindlichkeit zum Vorwurf gemacht, eine Verfälschung des jüdischen Messiasglaubens, unmoralische Sitten und die Verweigerung, den Kaiser zu verehren (Pouderon 2003:879). Lediglich einmal erwähnt Tertullian in seinem Werk „Apologeticum“ den Vorwurf, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen: 

„Sie werden hier an dieser Stelle sagen, wer dieser ‚Christus mit seinem Mythos‘ ist, ob ein Mensch gewöhnlicher Art, ob ein Zauberer, ob nach seinem Tode von den Jüngern heimlich aus dem Grabe weggeschafft, ob schließlich jetzt in der Unterwelt, oder ob nicht vielmehr im Himmel ...“

Dass er trotz der Masse an Vorwürfen, die er zu entkräften versucht, nur einmal in einem Nebensatz den Vorwurf erhob, das Grab sei leer, beweist zweierlei. Zum einen zeigt es, dass bereits im zweiten Jahrhundert scheinbar keine stichhaltigen Indizien mehr bekannt waren, welche dafür gesprochen hätten, dass das Grab Jesu tatsächlich leer war, sondern diesbezüglich lediglich Polemik seitens der heidnischen Gegner kam. Außerdem wird selbst mit solch einer Polemik, wie auch schon bei Mt 28,31-35, vorausgesetzt, dass Jesus tatsächlich begraben wurde, sein Leichnam sich aber nach einiger Zeit nicht mehr in diesem befand. Die Disputationen zwischen Christen und Juden erstreckten sich vor allen Dingen auf das richtige Verständnis des Alten Testamentes und des mosaischen Bundes (Bardenhewer 2007:180).

Interessanterweise finden sich aber auch außerhalb des Neuen Testamentes keine christlichen Apologien zu der Geschichtlichkeit des leeren Grabes, obwohl sowohl den heidnischen als auch den jüdischen Gegnern hinreichend bekannt war, dass sich der Glaube an den Auferstandenen mit diesem verband. Auch finden wir hier keine Vorwürfe, die leibliche Auferstehung sei nur inszeniert worden, lediglich die inhaltliche Auseinandersetzung von der Sinnhaftigkeit dieser. So lässt sich zur Faktizität des leeren Grabes das Fazit ziehen: Der Streitgegenstand war nicht, ob das Grab leer war, sondern warum es das war. Entweder weil Jesus von den Toten auferstanden war oder weil die Apostel den Körper gestohlen hatten, um einen Betrug zu begehen.

Das leere Grab beweist für sich selbst genommen, noch nicht die Auferstehung Jesu. Allerdings ist es ein wichtiger Baustein in einem größeren Argument. Zusammengenommen mit der Indizien, die dafür sprechen, dass die Apostel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, die Auferstehung Jesu nicht inszeniert haben1, wird es zu einem gewichtigen Unterpunkt.

Quellen:

Bardenhewer, Otto (2007): Geschichte der altkirchlichen Literatur. Band 1: Vom Ausgang des apostolischen Zeitalters bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts. 2. unveränderte Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Becker, Carl (übers. u. erl.) (1961): Tertullian. Apologeticum. Zweite, durchgesehene Auflage. München: Kösel-Verlag KG.

Craig, William Lane (2001): Did Jesus Rise from the Dead? Pine Mountain: Impact 360 Institute.

Habermas, Gary R. (2009): Did the Resurrection Happen?: A Conversation with Gary Habermas and Anthony Flew. Downers Grove: InterVarsity Press.

Lüdemann, Gerd (1994): Die Auferstehung Jesu: Historie, Erfahrung, Theologie. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.

Wilckens, Ulrich (2007): Theologie des Neuen Testaments. Teilband 2: Jesu Tod und Auferstehung und die Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden. 2. Durchgesehene Auflage. Neunkirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag.


 

1Siehe unser Artikel vom 10.07.2023: Zum Artikel