Warum Moral auch subjektiv sein darf und trotzdem auf Gott verweist!

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Rolf Marcel Fischer
veröffentlicht am 9.2.2025

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Vor einiger Zeit hat der bekannte amerikanische Apologet Dr. Frank Turek ein Buch mit dem Titel „Stealing from God“ veröffentlicht, in der unter anderem argumentiert, dass atheistische Kritiker gar nicht anders können, als ihre Kritik von einem theistisch- metaphysischen Standpunkt aus zu formulieren – und somit von Gott stehlen ohne den sie diese Kritik nicht formulieren könnten. 

Diese Behauptung ist eine recht populäre, vor allem, wenn es zum Beispiel um moralische oder rational epistemologische Kritik am Atheismus geht. Wer diese Debatte mal geführt hat, hat vielleicht festgestellt, dass die Beharrung auf z.B. Objektivität der Moral eine brüchige und wackelige Festung ist, in der man sich verstecken will. Denn auch die intuitive oder grundsätzliche Bejahung einer universellen Moral – sei es direkt oder durch das eigene Tun – beweist noch lange nicht die tatsächliche Existenz eben dieser Objektivität. Ein Beispiel: Vor sehr langer Zeit waren die meisten Menschen einhellig der Meinung, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei und dieses auch im Ganzen relativ klein sei. Diese heute so belächelte Ansicht ist aus der Sicht eines hier lebenden Menschen völlig einsichtig: Scheinbar dreht sich die Sonne um die Erde, sie geht auf und unter, die Sterne verteilen sich am Himmelszelt, scheinen nicht zu vergehen und es gibt kaum oder gar keinen Erweis (aus der Beobachtung), dass es noch mehr „Raum“ gibt – außer dem, welcher die Erde selbst umgibt. 

Die scheinbare Einsichtigkeit einer Sache, des Geozentrismus, macht es aber noch lange nicht wahr.  Eine solche Einsichtigkeit kann keine axiomatische Absicherung eines Arguments bieten – auch und vor allem nicht der Moral. 

Ich sage nicht, und das ist gerade sehr wichtig, dass es nicht möglich ist, ein Argument für die Objektivität der Moral als Hinweis auf die Existenz Gottes zu formulieren. Ich sage lediglich, dass es unnötig Stress und Umwege erzeugt, die so gar nicht notwendig sind: Joshua L. Rassmussen hat eine andere, leichtere Form des Argument entwickelt: eine die auf der subjektiven Erfahrung eines moralischen Bewusstseins und moralischer Gewissheiten basiert. 

Im Folgenden soll dieses Argument als Syllogismus dargelegt und erklärt werden, danach einige Kritikpunkte behandelt und schließlich dessen Vorteile vor anderen Formen des moralischen Arguments aufgezeigt werden, um dann abschließend dessen apologetische Brauchbarkeit zu prüfen.  

Der Syllogismus 

Die Idee

Das Argument ist, genau wie viele Argumente für die Existenz Gottes, keines aus reiner logischer Deduktion, sondern eines, welches mehr auf Indizien und Wahrscheinlichkeit beruht: Rassmussen will darlegen, dass das subjektive moralische Bewusstsein – das innere Erleben von moralischer Verpflichtung und der Wahrnehmung von moralischem Normen – am besten durch die Existenz Gottes erklärt werden kann. Dabei ist nicht so wichtig, ob moralische Werte objektiv oder relativ sind, sondern wie wir unser moralisches Bewusstsein überhaupt sinnvoll erklären können.


Syllogismus:

Prämisse 1: Menschen besitzen ein tief verankertes subjektives moralisches Bewusstsein (d.h. eine innere Wahrnehmung von moralischer Bedeutung, Verpflichtung und Unterscheidung zwischen richtig und falsch).  

Prämisse 2: Die beste Erklärung für das Vorhandensein eines solchen moralischen Bewusstseins ist eine moralisch relevante Quelle, die es hervorruft und aufrechterhält.  

Prämisse 3: Ein personaler, moralisch vollkommener Gott bietet eine überzeugende Erklärung für diese Quelle.  

Conclusio: Daher ist es rational, auf die Existenz eines personalen, moralischen Gottes zu schließen.

Erklärung

Prämisse 1: Das subjektive moralische Bewusstsein

Dieser Terminus ist etwas sperrig, meint aber etwas Einfaches: Alle Menschen, besitzen die Fähigkeit, moralische Werte innerlich wahrzunehmen und fühlen sich diesen verpflichtet: Gewissen, moralische Intuitionen und ähnliches wären hierfür gute Beispiele. Grundlegend postuliert Rassmussen, dass dieses Bewusstsein alle Menschen haben – wobei es unerheblich ist, inwieweit dieses Bewusstsein ausgeprägt oder „verwendet“ wird. Jetzt stellt sich schnell die Frage, ob diese nicht evolutionär und naturalistisch erklärt werden können. Dies soll aber später behandelt werden. Die erste Prämisse nimmt erst einmal an, dass dieses Bewusstsein existiert. 

Prämisse 2: Die beste Erklärung 

Die zweite Prämisse geht einen Schritt weiter und behandelt genau den ersten intuitiven Einwand: Rasmussen legt dar, dass rein naturalistische Erklärungen (Evolution, Kultur, Soziologie etc…) diese nicht in Gänze erklären können. Teile davon sind dadurch zu erklären, aber die Frage an sich nicht: Wie kann es sein, dass dieses Phänomen an sich auch einen derartigen normativen Charakter hat und sowohl das Individuen als auch Gruppen verpflichten zu vermag? Ein rein evolutives Erklären kann nicht erklären, warum es dem Menschen so schwer fällt, sich davon zu distanzieren. Die Vernunft und die richtigen Umstände ermöglichen es einem Menschen faktisch – individuell und als Gruppe – von Elementen des natürlichen Seins zu distanzieren und sich im Raum zwischen Aktion und Reaktion zu sich, der Gruppe und der Situation zu verhalten. Doch bei dem moralischen Bewusstsein fällt es sehr schwer, da es ein Teil des inneren Selbst zu sein scheint. Sie transzendieren den Rahmen des pragmatischen Willens zum Überleben. 

Prämisse 3: Ein personaler Gott 

Die dritte Prämisse springt ein wenig: Sie postuliert nicht nur, dass eine metaphysische Basis für die Erfahrung eines moralischen Bewusstseins die beste Erklärung sei, sondern die Existenz eines vollkommenen, personalen Gottes. Beide Aspekte – die Existenz und Normativität – des moralischen Bewusstsein könnten dadurch am besten erklärt werden. Wieso? Evolutiv würde ein solches Bewusstsein nur von Vorteil sein, wenn dem eigenen Überleben und dem Überleben der Gruppe nützt und wenn dies nicht der Fall wäre optional wäre. Allerdings funktioniert Moral so nicht: Ihre subjektiv wahrgenommene Normativität führt dazu, dass ihr auch gefolgt wird, wenn es dem Individuum oder der Gruppe Schaden zufügt. Ein reiner moralischer Realismus innerhalb eines platonischen Humanismus kann die Existenz, aber nicht die Verbindlichkeit eines solchen Bewusstseins erklären: Es ist kohärenter anzunehmen, dass ein personaler, moralischer vollkommener Gott den Menschen mit einem solchen Bewusstsein ausstatten würde, um die eigene Schöpfung zu einem moralisch-relationen Verhältnis zueinander und zu sich zu setzen. 

Conclusio 

Sollte dies der Fall sein, ist die Annahme rational vertretbar, dass ein vollkommener Gott die beste Erklärung für ein subjektiv moralisches Bewusstsein ist. Wenn ein moralisch vollkommener Gott die beste Erklärung für das subjektive moralische Bewusstsein ist, dann stützt das rational die Annahme, dass ein solcher Gott existiert.

Anfragen: 

Warum kann das subjektive moralische Bewusstsein nicht rein evolutionär erklärt werden? 

  1. Evolutives moralisches Bewusstsein würde sich dem eigenen und dem Überleben der Gruppe verschreiben und nicht eigene Nachteile in Kauf nehmen. Moralisches Bewusstsein sprengt die Grenzen des Überlebens und der Nützlichkeit. Beispiel: Ein Mensch opfert sein Leben, um das eines anderen fremden Menschen zu retten. 
  2. Ein evolutives moralisches Bewusstsein wäre gruppen- oder individuenspezifisch und würde kein Empfinden eines universalen Anspruchs erzeugen. 
  3. Moralische Werte werden als universell deklariert – unabhängig von Zeit, Ort, Kultur oder sozialen Kontexten. In einem naturalistischen Kontext wäre dieses Gefühl sinnfrei, da jeder Kontext andere Voraussetzungen und Notwendigkeiten mit sich bringt.  Beispiel: In der Arktis wären andere Normen wichtig, als im Dschungel. Dennoch gibt es eine Reihe von Normen, die Zeit, Ort und Kultur überspannen. In einem naturalistischen Kontext gäbe es dafür weder Grund, noch einen nennenswerten Vorteil zum Überleben. 

Wäre nicht jede naturalistische Erklärung wahrscheinlicher, als eine metaphysische? 

  1. Naturalistische Erklärungen arbeiten mit physischen, empirisch überprüfbaren Prozessen. Das subjektive moralische Bewusstsein, insbesondere in seiner normativen Dimension, scheint jedoch eine transzendente Quelle zu benötigen. Sie lässt sich nicht unter einem Mikroskop finden.
  2. Naturalistische Erklärungen sind nicht „wahrscheinlicher“ per se; sie erscheinen nur intuitiv zugänglicher, da sie auf empirische Mechanismen zurückgreifen. Rasmussen argumentiert, dass die beste Erklärung nicht die einfachste naturalistische, sondern die kohärenteste ist. Es geht also nicht darum, was am schnellsten, sondern die meisten Faktoren erklärt. 
  3. Naturalismus kann zwar beschreiben, wie Menschen zu moralischen Überzeugungen kommen, aber nicht, warum wir glauben, dass sie normativ bindend sind. Eine metaphysische Erklärung liefert hier eine tiefere, bessere und kohärentere Antwort.

 

Warum wird dieses Bewusstsein durch eine metaphysische Annahme besser erklärt?

  1. Ein metaphysischer Ursprung wie Gott kann erklären, warum moralische Werte und Pflichten als subjektiv normativ bindend wahrgenommen werden. Ohne eine metaphysische Grundlage dieses Bewusstseins bleibt das moralische Bewusstsein lediglich eine psychologische Konstruktion und kann diese Normativität nicht erklären.
  2. Wenn unser moralisches Bewusstsein von einer moralisch perfekten Quelle wie Gott stammen würde, wird diese Spannung zwischen Existenz und Normativität gelöst: die Übereinstimmung zwischen unserem moralischen Empfinden und moralischen Wahrheiten ergibt dann Sinn. Das moralische Bewusstsein ist dann mehr als ein nützliches Instrument zum Überleben, sondern transzendiert solche natürlichen Prozesse und schafft somit eine diese umspannende Verbindlichkeit eben jener wahrgenommenen Normen. Daraus folgt: Das Gefühl, dass moralische Werte über individuelle und gruppenspezifische Bedürfnisse, Präferenzen und Kontexte hinausgehen, lässt sich durch eine transzendente Quelle – Gott - kohärenter erklären.

Warum ist ein platonischer Humanismus nicht eine mögliche und kohärentere Erklärung eines solchen Bewusstseins? 

  1. Platonische Ideen sind abstrakte Entitäten, die selbst keine Ursache haben oder handeln können. Es stellt sich also die Frage, wie und warum Menschen, ein solches Bewusstsein haben? Welchen Sinn haben sie? Sie können nicht erklären, warum Menschen überhaupt ein moralisches Bewusstsein besitzen, das auf diese Ideen verweist.
  2. Während platonische Werte objektiv sein können, fehlt ihnen eine begründete normative Autorität. Die Ideen sind einfach und spiegeln sich schattenhaft in der materiellen Wirklichkeit wieder. Dies gibt im Erkenntnisprozess Sicherheit. Doch ein moralisches Bewusstsein sprengt diesen Rahmen: Woher kommt die Verpflichtung? Warum sollte ein Mensch sich verpflichtet fühlen, abstrakten Ideen zu folgen, die nicht in Beziehung zu ihm stehen? 
  3. Moralisches Bewusstsein hat oft oder fast immer interpersonale Dimension (z. B. das Empfinden von Schuld oder Dankbarkeit). Ideen sind keine Personen. Sie können sich nicht zueinander oder zum Menschen verhalten. Warum also soll sich dies im Menschen spiegeln? In einem theistischen Horizont sieht das aber anders aus: Ein persönlicher Schöpfergott bietet eine bessere Erklärung für diese Erfahrungen als abstrakte platonische Ideen. Er hat den Menschen als Beziehungswesen geschaffen und im Freiheitsverhältnis entsteht unmittelbar die Notwendigkeit eines moralischen Bewusstseins, welches seinen Grund und Ziel in jenem Schöpfer findet. Er hat also nicht nur die Möglichkeit, sondern auch einen rationalen Grund, dem Menschen ein moralisches Bewusstsein zu implementieren und diese ganzheitlich, universal bindend wirken zu lassen.  

Abgrenzung zu klassischen moralischen Argumenten

Was genau macht diese Variante des Arguments nun besser, als andere Formen? Im Folgenden will ich schemenhaft die klassischen Formen des Arguments darstellen und mit Rasmussens Variante abgleichen. 

Das Argument aus objektiven moralischen Werten und Pflichten 

Diese Argumentation postuliert aus verschiedenen Gründen, dass objektive moralische Werte gibt, welche nur durch Gott begründet werden können. 

  • Moralische Werte sind echt und objektiv (bindend) und von jedem Menschen erkennbar. 
  • Werte und Normen brauchen eine normsetzende Autoriät. 
  • Diese Werte und Normen gehen dem Menschen voraus und transzendieren den Bereich des empirisch Natürlichen. (Gerechtigkeit findet sich nicht unter dem Mikroskop)
  • Deshalb muss diese normgebende Autorität diese Wirklichkeit überschreiten und vollkommen personifizieren. Diese Instanz nennen wir Gott. 

Argument aus moralischer Motivation 

Man könnte diese Form als Argument der Tugend bezeichnen. 

  • Der Mensch erkennt moralische Normen und fühlt sich ihnen verpflichtet. Diese Verpflichtung ist aber mehr als ein Zwang, sondern besteht in der Regel aus einem Bestreben in der Verwirklichung eben jener Werte „besser“ werden zu können. 
  • Dieses Denken in Kategorien des Guten oder des Wachstums setzen letztlich metaphysische Annahmen voraus: Es braucht das Gute als Entität und das Streben nach dem Guten lässt den Menschen wachsen, mehr Mensch werden. 
  • Streben ist immer ein zielgerichteter Prozess: Es ist das Streben auf etwas. Dies kann am besten als Gott bezeichnen werden, der das vollkommene Gute oder das Gute schlechthin verkörpert. 
  • Dieser Gott hat aus theologischen Gründen dem Menschen das Streben nach dem Guten und dem Besseren ins Herz gelegt: für sich, für die Gruppe und für die Welt. 
  • Damit ist Gott die beste und letztlich einzige Erklärung für die Existenz objektiver moralischer Normen.   

Unterschiede bei Rasmussens Argument für subjektives moralisches Bewusstsein und objektiver Moral.   

Sein Argument befreit von der Schwierigkeit jenseits der Phänomenologie die Objektivität der moralischen Normen nachzuweisen. Er argumentiert rein aus der Erfahrung eines moralischen Bewusstseins. Dies kann auch ein Naturalist anerkennen. Rasmussen erspart sich die vorweggehende Debatte über Metaphysik und dem Zwang den Anderen vorher dazu zu bringen aus dem naturalistischen Kasten zu springen bevor das Argument überhaupt an Kraft gewinnen kann. Somit liegt der Fokus auf dem Erleben und nicht auf metaphysischen Axiomen. Anstatt auf metaphysische Notwendigkeit zu pochen, stellt Rasmussen die Frage: Welche Erklärung passt am besten zu unserer Erfahrung von moralischem Bewusstsein?

 

Zusammenfassung und apologetische Brauchbarkeit

Rasmussen argumentiert, dass die Erfahrung eines universalen und verpflichtenden moralischen Bewusstseins weder rein naturalistisch, noch platonisch humanistisch erklärt werden kann. Eine theistische Erklärung ist nicht nur völlig konsistent, sondern auch eine kohärentere Erklärung des Phänomens eines subjektiven moralischen Bewusstseins. Es vereinfacht und erleichtert den Dialog mit naturalistischen Atheisten und basiert auf leichter zu begründenden Axiomen. Somit ist Rasmussens Argument viel einfacher und effektiver ins Gespräch zu bringen und auch zu verteidigen, als die klassischen moralischen Argumente für Gottes Existenz. 

Dieser Ansatz ist innovativ, eingängig, leicht zu erklären und schnell ins Gespräch zu bringen, ohne dem Gesprächspartner direkt vor den Kopf stoßen zu müssen. Das macht Rasmussens Argument attraktiv und für jeden Christen zu einer empfehlenswerten Lektüre.