Warum der Pantheismus nicht haltbar ist

Dave Krohn
veröffentlicht am 7.10.2025

Was ist Pantheismus?
Der Begriff Pantheismus (gr. πᾶν + θεός, zu deutsch: alles + Gott) wurde besonders durch die Lehren von Baruch de Spinoza philosophisch populär und lässt sich in dessen Ausspruch “Quicquid est, in Deo est” zusammenfassen: Was auch immer ist, ist in Gott. Damit ist Gott ausschließlich immanent zu verstehen und nicht mehr als transzendente persönliche Entität, heißt: Er existiert nicht außerhalb oder innerhalb des Seienden (oder Universums oder Multiversums), er ist mit ihm gleichzusetzen. Eine vage Differenzierung des Begriffes finden wir im Begriff Panentheismus, der besagt, dass alles, was existiert, in Gott ist, Gott jedoch darüber hinaus existiert. Hier ist Gott sowohl immanent als auch transzendent. Dabei ist der Pantheismus keineswegs eine rein nicht-christliche Deutung von Gott und der Welt, sondern wird auch von Theologen wie Schleiermacher (pantheistische Tendenzen) und Tillich (panentheistische Tendenzen) als seriöse Deutung betrachtet.1
Einwände
Der ein oder andere mag bei solch einem Weltbild erstmal verwirrt sein. Dabei ist zu beachten, dass auch Theologen den Pantheismus mit der Bibel begründen, so zum Beispiel mit Psalm 139,5 ("Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, du hast deine Hand auf mich gelegt.") oder Apostelgeschichte 17,28 ("Denn in ihm leben wir und bewegen uns und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: Denn wir sind auch sein Geschlecht"). Insgesamt spielt hier das Konzept der Omnipräsenz Gottes, also seiner Allgegenwart, eine entscheidende Rolle.
Der Pantheismus wird von den allermeisten theologischen Strömungen als Häresie abgetan. Zum einen, weil er sich schwer mit dem gesamtbiblischen Konzept Gottes vereinen lässt, und zum anderen, weil der Pantheismus sich selbst mit Problemen seiner eigenen Kohärenz konfrontiert sieht. Im folgenden werden drei Argumente ausgeführt, warum eine pantheistische Weltanschauung nicht auf stabilen Beinen stehen kann.
1. Principium identitatis indiscernibilium
Leipniz formulierte 1663 folgenden Satz: “Identitisch sind diejenigen, bei denen das eine an die Stelle des anderen gesetzt werden kann, ohne dass sich die Wahrheit verändert.”.2 Heißt: Eine Gleichsetzung Gottes mit dem Seienden würde bedeuten, dass beide die exakt gleichen Eigenschaften besitzen. Nun wird Gott in der klassischen Theologie mit Eigenschaften versehen, die wir in unserem Universum nicht vorfinden: Vollkommen Gutes, Allmacht, materielle Unbegrenztheit etc. Unser Universum jedoch zeigt keine dieser vollkommenen Eigenschaften. Vielmehr finden sich in unserem Sein Eigenschaften, die den Attributen Gottes widersprechen: Es gibt Böses. Es gibt Mangelhaftes. Und auch die Summe des Seins kann nur schwerlich in Begriffen wie “Vollkommen Gut” zusammengefasst werden (der Karma-Gedanke, dass Gutes und Böses sich aufhebt, führt höchstens zu einer neutralen Entität, nicht aber zu einer vollkommen guten). Schon Thomas von Aquin geht auf diese Idee ein verwirft sie in der Beschreibung Gottes als actus purus.3 Die Problematik bezieht sich dabei besonders auf den klassischen Pantheismus, wohingegen Panentheisten diesem Dilemma entkommen können, indem sie die transzendenten Aspekte Gottes als Aufhebung dieser scheinbar negativen immanenten Dinge heranziehen. Schlussendlich muss der Pantheist die Existenz von wahrem Bösen und wahrer Unvollkommenheit und wahrem Mangel ablehnen - was in Anbetracht des aktuellen Leids in dieser Welt (menschenverursacht und naturell) einer Weltflucht gleichkommt. Auch hier kommt Anselm mit seinem Konzept des Bösen als privatio boni (Mangel an Gutem) zum Tragen.
Der Pantheismus legt hier in Gott eine Spannung hinein: Gott beinhalte demnach sowohl das Böse als auch das Gute. Dies jedoch ist unvereinbar mit klassischen Konzepten Gottes im Monotheismus, besonders mit dem biblischen Gottesbild, dem “[…] Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel” (Jakobus 1,17)
2. Personale Subjekte
Der Pantheismus vereint das gesamte Universum zu einer Entität. Die Einheit allen Seins ist für den Pantheisten entscheidend. Nun finden sich jedoch in diesem Universum Subjekte mit Bewusstsein, die voneinander zu unterscheiden sind. Der Pantheismus kann dabei diese sich unterscheidenden Subjekte nur notdürftig erklären: Entweder ist unser “Ich” eine Illusion (was man bereits aus dem buddhistischen Konzept des anatman4 kennt), oder man versteht das “Ich” nur als Modus von Gott. Beides läuft auf das gleiche hinaus: Das “Ich” ist kein echtes Subjekt, es existiert nur als Modus oder Erfahrung, aber nicht als ein Seiendes. Spinoza schreibt: “Das Sein der Substanz gehört nicht zum Wesen des Menschen, oder die Substanz macht nicht die Form des Menschen aus.”5 Es sei jedoch angemerkt, dass Spinoza nicht in einem Nihilismus endet, sondern in einer klaren Ethik, die das Göttliche repräsentiert. Wo hier jedoch persönlich-ethische Verantwortung bleibt ist völlig unklar.
Es sei angemerkt: Man kann diese Position annehmen. Doch dann wird zurecht eine Umdeutung vieler menschlicher Erfahrungen nötig: Was genau ist dann Liebe (laut Spinoza ist es lediglich die Selbstliebe Gottes, da der Mensch nur Modus seiner Liebe ist)? Was genau bedeutet es dann, etwas für andere zu tun (in Abgrenzung zu für sich selbst)? Schlussendlich mündet der Pantheismus in einen Egoismus, in dem jede Form von Altruismus, Liebe, Gemeinschaft und sinnstiftende Kommunikation ihres Kerns beraubt wird. Nochmal: Man kann das glauben. Nur widerspricht es so vehement dem menschlichen Verhalten, Fühlen und Denken, dass sich zurecht die Frage stellen lässt, warum man dann niemanden findet, der diese Weltsicht konsequent auslebt. Es gleicht dem Gedanken, nur die Zusammensetzung mehrerer 0en und 1en eines großen Computers zu sein. Die existenzialistischen Folgen, die daraus entstehen, bringen ungeklärte Fragen der Lebensführung mit sich.
Im Übrigen machen auch Worte dann keinen Sinn mehr. Ist alles Gott, warum dann zwischen “Ich” und “Gott” als Vokabeln unterscheiden? Warum um Worte ringen, warum sie aufschreiben, warum mit Worten nach Erkenntnis suchen? Am Ende ist das Wort “Gott” damit eine leere Worthülse, und es würde genügen, sich auf die Worte der Modi zu beschränken.
3. Ontologische Entropie
Der obige Begriff wird hier eingeführt und wie folgt definiert: Ontologische Entropie besagt, dass eine Realität, die lediglich aus gegensätzlichen tatsächlichen Attributen besteht, in einer Seins-Entropie, also der Auflösung des Begriffs Seins an sich, endet. Einfach gesagt: Gehen wir davon aus, es existiert echtes Böses in der Welt. Es existiert aber auch echtes Gutes. Ist der Pantheismus wahr, so fügen sich diese beiden Dinge in einem Sein zusammen (nennen wir es z.B. Gott). Nimmt man nun alle Gegensätze des Universums (Ordnung und Chaos, Liebe und Hass,…) so entsteht am Ende eine Auflösung allen Seins. Damit stellt sich berechtigterweise die Frage, warum dann überhaupt etwas existiert. Ein Gottesbild, das in sich selbst durch nichts als Widersprüche aufrechterhalten bleibt, kann entweder nichts bewegen (was die Frage stellt, wo dann die göttlichen Modi herkommen) oder es kann in sich selbst gar nicht existieren, weil seine Definition bereits seine Selbstauflösung beinhaltet (was ich ontologische Entropie nenne). Noch klarer gesagt. Wenn alles Gott ist, gibt es nichts Göttliches. Dann gibt es per se nichts Heiliges, nichts Gutes, nichts Reales, weil ja das Unheilige oder Nicht-Reale nicht existieren kann (weil ja alles Sein bereits Gott ist). Hegel sagt dazu: “Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare, ist in der Tat Nichts, und nicht mehr noch weniger als Nichts.”6, geht dann aber in ein dialektisches System und den Begriff des “Werdens” über.
Die beste Erklärung?
So viele Worte der Pantheismus auch nennen mag - schlussendlich scheitert er nicht an Büchern, sondern an ehrlichen Menschen. Das ist provokant ausgedrückt. Aber die Geschichte zeigt: Menschen weltweit in allen möglichen Sprachen und Kulturen zeigen überhaupt kein Anzeichen dafür, dass dieses Weltbild intuitiv ist, geschweige denn lebbar. Und ein Weltbild, das sich nicht mit einer Erfahrungsrealität verbinden lässt, ist zurecht dem Vorwurf ausgesetzt, inkohärent zu sein.
Das biblische Grundgerüst (es gibt kein einheitliches biblisches Weltbild) beschreibt die menschliche Erfahrung in Zusammenhang mit einem Gott auf eine Art und Weise, die sich in alle Kulturen und Sprachen übertragen lässt, weil es um die menschlichen Grunderfahrungen geht: Schuld, Versagen, Liebe, Hoffnung, Sterben und vieles mehr. Die Bibel begegnet diesen Dingen nicht mit billigen Antworten oder Worthülsen, sondern mit einer lebendigen Hoffnung, die sich in Zeit und Raum in Jesus Christus gezeigt hat. Die Bibel beschreibt eine klare Trennung zwischen Mensch und Gott (vgl. 4. Mose 23,19) und doch zwischen den beiden eine unglaubliche, hoffnungsvolle Beziehungsgeschichte. In allem Leid, allen Fragen und allen Unvollkommenheiten dieser Welt beschreibt sie einen Gott, der ein fester Anker ist - nicht für sich selbst, sondern für uns, als echte, geliebte, wertvolle Geschöpfe.
Das biblische Weltbild ist nicht wahr, weil es schöner klingt. Es ist wahr, weil es sich bewahrheitet: Philosophisch, ethisch, historisch und persönlich. In all diesen Belangen zerfällt der Pantheismus zu Staub.
Fußnoten
1 Vgl. Religion in Geschichte und Gegenwart: Band 6. Tübingen 2002. Mohr Siebeck. S. 853ff
2 “Eadem sunt quorum unum substituti alteri salva veritate.” (Dissertatio de principiu individui in Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe VI Band 1, Berlin 1930, S.17)
3 Vgl. Thomas von Aquin: Summa theologiae I,3, Vierter Artikel.
4 Bedeutet so viel wie “Nicht-Selbst”.
5 Spinoza, Baruch de: Die Ethik. Teil zwei, Lehrsatz 10. (S.59)
6 Hegel, Wissenschaft der Logik, Erster Teil – Die objektive Logik, Erstes Buch: Die Lehre vom Sein, Kapitel A. Sein, §§132–134