Ist der Koran fehlerfrei?
Achim Schnell
veröffentlicht am 11.11.2023
Für Muslime ist der Koran heilig, zentral in seiner Bedeutung und die Basis für ihren Glauben. Da er direkte wörtliche Offenbarung Gottes an Mohammed ohne menschliche Einwirkung sein soll, plädieren sie auch dafür, dass er ohne Fehler und Widersprüche ist. Wäre dies nämlich der Fall, wäre die göttliche Autorenschaft dieses Buches infrage zu stellen.
Tatsächlich räumt der Koran dies selbst ein, indem er über sich selbst aussagt:
„Denken sie denn nicht sorgfältig über den Koran nach? Wenn er von jemand anderem wäre als von Allah, würden sie in ihm wahrlich viel Widerspruch finden“
Diesem Selbstanspruch wollen wir nun auf den Grund gehen: Ist der Koran tatsächlich vom Schöpfer von Himmel und Erde diktiert worden oder ist er doch nur das menschliche Werk eines frühmittelalterlichen Menschen? Besteht der Koran seinen eigenen Test?
Nun gibt es in der Bibel Narrative, die nicht dieselbe sind, sich allerdings in ihrer Details sehr ähneln. Bei unzureichender Bibelkenntnis könnte man diese Geschichten also leicht miteinander verwechseln. In der Tat scheint es nun eine Reihe solcher Verwechslungen im Koran zu geben:
Während im Alten Testament Jakob ins Exil flieht und mit Laban vereinbart, für die Heirat seiner Tochter zu arbeiten, ist es im Koran plötzlich Mose, der diese Vereinbarung mit seinem Schwiegervater in spe eingeht (Sure 28:27, vgl. Ex 2,15 und Gen 29,1f). Ebenso im Exodus-Zyklus finden wir eine weitere Abweichung: hier entdeckt laut Koran die Frau des Pharaos das Mosekind auf dem Nil und adoptiert es, während es in der Originalfassung die Tochter des Pharaos war (Sure 28:9, vgl. Ex 2:5-10). [Eine weitere Verwechslung betrifft die Auswahl der Truppen bei Gideon: Während Gideon durch Gottes Anweisung nur diejenigen in seinem Heer behalten sollte, die bei einer Quelle auf eine bestimmte Art und Weise trinken, ist es im Koran Saul, der ein ähnliches Auswahlkriterium verfolgt (Sure 2:249, vgl. Ri 7,4f).] Eine relativ bekannte Verwechslung sehen wir bei den beiden biblischen Personen Maria und Miriam, deren Namen im Arabischen dieselben sind: Hier wird Maria, die Mutter Jesu, Schwester Arons genannt (Sure 19:28). Ein weiterer Hinweis für die Verwechslung ist der, dass Marias Vater Imran im Koran heißt, während in der Bibel Miriams Vater Amram ist (Sure 66:12, vgl. Ex 6:20). Womöglich hörte hier Mohammed typologische Erwägungen über die beiden biblischen Personen und verstand diese als wörtlich. Zumindest passt dies gut in das Gesamtbild. Wäre der Koranautor über die biblischen Hintergründe ausreichend informiert, hätte er auch wissen müssen, dass Abrahams frühere Name vor seiner Umbenennung durch Gott Abram war. Allerdings wird Abraham im Koran auch in seiner Jugendzeit bereits Ibrahim genannt, ein Hinweis auf die Unkenntnis dieser Tatsache (Sure 21:60, vgl. z.B. Gen 12:1).
Ein weiterer Makel am Koran sind gewisse Anachronismen: So heißt der Befehlshaber des Pharaos im Koran Haman. Dieser gehört eigentlich in eine viel spätere Zeit, nämlich in die des persischen Reiches (5.Jahrhundert v.Chr.). Haman ist nämlich der Widersacher der Juden im Buch Esther (Sure 28:38, vgl z.B. Est 3:1). Muslimische Apologeten erwidern hier, es gebe auf ägyptischen Hieroglyphen dieser Zeit bereits den Namen Haman. Hier ist allerdings einzuwenden, dass das anlautende h eben ein anderes im Ägyptischen ist (ein stimmhafter glottaler Frikativ) als im Arabischen (würde dem deutschen h entsprechen). In beiden Sprachen wird zwischen diesen beiden h’s unterschieden. Der Koran hätte dies also deutlich machen können. Einen weiteren Anachronismus finden wir bei der Erwähnung eines Samariters zur Zeit Moses, der statt Aaron Israel zum Bau des goldenen Kalbs verführt haben soll (Sure 20:85-88). Tatsächlich entstanden die Samariter, das Mischvolk zwischen Nordisraeliten und anderer Völker, viel später, nämlich zur Zeit der assyrischen Eroberung 721-722 v.Chr. Die namensgebende Stadt Samaria selbst wurde immerhin erst im Jahre 876 v.Chr. gegründet. Einen Samariter hat es zur Zeit Moses und Aarons (1200-1500 v.Chr.) also noch gar nicht geben können. Ein interessanter Anachronismus kann auch an der oben genannten Stelle entdeckt werden, wo Moses Schwiegervater ihm den Brautpreis als Dienstjahre anbietet und wörtlich diese Jahre Pilgerfahrten (hidschadsch) sind (Sure 28:27), wohingegen ja die mekkanische Pilgerfahrt erst zur Zeit Mohammeds etabliert wurde und vorher nicht nachgewiesen werden kann.
Wir finden auch einige interne Widersprüche im Koran: So ertrinkt an einer Stelle der Pharao im Schilfmeer (Sure 17:103), während er gemäß einer anderen Offenbarung von Allah gerettet wurde (Sure 10:92). Oder wir finden die Aussage, dass Götzendienst nicht vergebbar ist (Sure 4:48), während Allah Israel dann doch die Anbetung des Goldenen Kalbs vergibt (Sure 4:153).
Eine weitere interessante Unstimmigkeit begegnet uns bei der Erbschaftsregelung des Korans: Hier wird zugeteilt, welche Anteile die Hinterbliebenen bei einem Todesfall erhalten (Sure 4:11-12). Addiert man die Anteile allerdings für bestimmte Konstellationen zusammen, kommt man auf einen Wert über 1, nämlich auf 1,125. Also auch im Bereich der Arithmetik findet man hier Unzulänglichkeiten. Glaubt man anderen Quellen, kann man in diesem Buch gar Grammatikfehler entdecken.
Interessant sind ebenfalls Aufzählungen der Propheten im Islam. Diese sind manchmal nicht in chronologischer Ordnung (z.B. Sure 6:84 oder 4:163), d.h. der Autor war eventuell über die geschichtliche Abfolge der biblischen Personen nicht instruiert. Auch sind dem Koranautor einige weniger bekannte Namen nicht bekannt gewesen. Sie werden in den entsprechenden Geschichten mit „einer von ihnen“ oder „einige unter ihnen“ wiedergegeben (z.B. Josua und Kaleb: Sure 5:23 oder Ruben in der Josefsgeschichte: 12:10).
Ein weiteres interessantes Missverständnis finden wir in der koranischen Geschichte, in der Abraham von seinen Feinden in ein Feuer geworfen und durch Allah gerettet wird (Sure 21:69). Bibelleser werden diese Geschichte nicht wiedererkennen, denn sie beruht auf einem Übersetzungsfehler: Der jüdische Gelehrte Jonathan Ben Uziel verstand den Namen der Stadt Ur, aus dem Abraham stammte, wörtlich. Er übersetzte also den Städtenamen in dem Vers in Genesis 15:7 („Ich bin der HERR, der dich aus Ur in Chaldäa geführt hat“) mit der hebräischen Entsprechung „Feuer“ ins Aramäische, da „Ur“ im Hebräischen wörtlich „Feuer“ bedeutet. Folglich entstand während dieser Zeit die Legende, Gott habe Abraham aus einem Feuer gerettet, und schlug sich so auch später im Koran nieder.
Nun mag man als Verfechter der Fehlerlosigkeit des Korans entgegnen: Die Bibel wurde eben verfälscht. Unstimmigkeiten des Korans mit der Bibel rührten also daher, dass der Koran die ursprüngliche Versionen der Geschichten widerspiegele, während die heutige Bibel sich eigentlich irre und die falschen Details enthalte. Dem ist einzuwenden: Die Bewahrung der Bibel ist nicht anzuzweifeln. Zwei Weltreligionen, das Judentum und das Christentum, sicherten die Überlieferung dieses Buches, zumindest des Alten Testaments (auf das sich ja das Gros der Korangeschichten bezieht), unabhängig voneinander. Juden und Christen hätten sich also in ihrer Verfälschung genauestens miteinander absprechen müssen, was allein schon durch ihre jahrhundertelange Feindschaft und Konkurrenz undenkbar wäre. Zudem war die Bibel bereits früh in unterschiedlichsten Erdteilen und Sprachen verbreitet. Eine einheitliche Abfälschung wäre also logistisch ohne Resonanz in der Geschichte unmöglich gewesen.
Viel besser lassen sich all diese Inkonsistenzen und Abweichungen vom Original dahingehend erklären, dass Mohammed als Analphabet nicht über die Originalgeschichten ausreichend orientiert war, sondern sie lediglich aus zweiter Hand erfuhr und weitergab. Als Handelsreisenden hatte er wohl dazu ausreichend Möglichkeit, solch Material zu sammeln – aber eben in einer abweichenden Form, meist auch von außerbiblischen Quellen und Legenden. Insgesamt spricht das Befundbild also dafür, dass der Koran keinesfalls fehlerlos ist. Fazit: Auch die göttliche Urheberschaft des Korans muss in Zweifel gezogen werden.