Ist der Koran ein sprachlich-literarisches Wunder?
Achim Schnell
veröffentlicht am 12.8.2024
Woher weiß ich, dass ein Mensch tatsächlich von Gott, vom Schöpfer des Universums, persönlich beauftragt und ausgesandt wurde? Viele Muslime würden antworten: Dadurch, dass dieser Gesandte Zeichen und Wunder vollbringt, die sonst kein Mensch hervorbringen kann. Man denke an die großen Zeichen, die Gott durch Mose geschehen ließ, wie die Teilung des Meeres. Oder an Elia, der Feuer vom Himmel fallen ließ und dadurch den wahren Glauben wiederherstellte. Oder eben Jesus, der Kranke heilte, Tote auferweckte und Besessene befreite.
Wie war es bei Mohammed?
Vollbrachte er Wunder, die ihn als Prophet auswiesen? Wirft man einen Blick in den Koran, treffen wir immer wieder auf die Aussage, dass Mohammed „nur ein Warner“, bloß „ein Verkündiger sei“ und kein Wunder benötige (z.B. Sure 11:12, 13:7.27, 17:90-93). Dennoch schreiben ihm Muslime Wunder zu, doch diese Geschichten stammen entgegen muslimischer Behauptungen aus einer viel späteren Zeit und sind somit eher im Bereich der Legenden zu verorten. So behaupten Sie auch, Mohammed habe auf wundersame Weise den Mond entzwei gespalten. Wäre dies allerdings tatsächlich geschehen, hätte dies bei all den anderen Zivilisationen zu geschichtlicher Resonanz führen müssen. Somit bleibt nur noch eine Möglichkeit für Mohammeds wunderhafte Sendung bestehen: die Wunderhaftigkeit des Korans selbst. An mehreren Stellen stellt dieses Buch die Behauptung auf, niemand könne so etwas Ebenbürtiges wie den Koran hervorbringen. Diese Verse bezeichnet man in der Islamwissenschaft als die taḥaddī (Herausforderung): Der Koran fordert seine Gegner heraus, etwas Vergleichbares wie der Koran herzustellen (z. B.: Sure 52:33f). Dies sei nämlich unmöglich. Selbst wenn sich die Menschen und die Geisterwelt zusammentäten, könnten sie eine Sure wie jene im Koran nicht hervorbringen (Sure 17:88).
Doch was genau beschreibt diese angebliche Unnachahmlichkeit? Laut Muslimen sei der Koran unanfechtbar in seiner Klarheit, Schönheit und sprachlichen Eigenschaften. Dies hätten sogar die altarabischen Dichter zu Mohammeds Zeit anerkennen müssen. Man könnte also sagen, Mohammed sei angeblich der Gewinner eines frühmittelalterlichen Poetry-Slams geworden. Ist diese sprachlich-ästhetische Wunderhaftigkeit jedoch überzeugend? Ich möchte im folgenden 5 Einwände vorbringen, um zu zeugen, warum mich diese Argumentation nicht überzeugt.
1. Was schön ist, ist subjektiv
Zum einen muss gesagt werden, dass literarische Schönheit der menschlichen Subjektivität unterworfen sind. Was einer treffend und poetisch formuliert findet, ist für den anderen platt und monoton. Sprachliche Eleganz ist eben zu großem Teil Geschmackssache. Warum sollte der Schöpfer von Himmel und Erde gerade solch ein subjektives Kriterium gewählt haben, um sein heilbringendes Buch zu bestätigen? Gäbe es da nicht objektivere, besser messbare Kategorien, wenn es ein Beweis für eine göttliche Sendung sein soll? Tatsächlich hat es in der Vergangenheit auch Versuche gegeben, vergleichbare Suren wie im Koran zu generieren. Einige Dichter hätten diese Herausforderung angenommen. Doch wer bestimmt, ob sie diese Herausforderung vielleicht auch tatsächlich gemeistert haben? Somit bleibt diese Angelegenheit, zu bestimmen, ob der Koran unnachahmliche Literatur darstellt, eine Frage der persönlichen, subjektiven Vorliebe. (Die Deutung, die Unvergleichlichkeit des Korans beziehe sich auch auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dieses Buch angeblich erwähne und menschlich unmöglich zu erklären seien, ist übrigens eine spätere Deutung (vgl. auch einem vorherigen Blog-Artikel „Enthält der Koran tatsächlich wissenschaftliche Wunder?“).)
2. Der Koran sticht literarisch nicht hervor
Liest man den Koran von vorn bis hinten, wirkt er in den Augen vieler literarisch gesehen eben nicht unbedingt wie ein Meisterwerk. Interessant ist dabei auch, dass dies gerade arabisch sprechende Nicht-Muslime anführen. Nun kann man natürlich sagen, dass sie nicht neutral seien - aber gerade für sie soll dieses Zeichen doch sein? Das Buch wirkt in den Augen vieler Kritiker eher unorganisiert, vage und chaotisch, ständig wechselt das Thema und es ist ohne Kommentar oft nicht klar, wer hier zu wem spricht. Zudem ist das Buch auch durch vielfache Wiederholungen redundant. Es ist außerdem gekennzeichnet durch viele repetitive Tautologien, unvollendete Sätze und sogenannte dunkle Stellen, die nicht so recht übersetzt werden können, sowie Grammatikfehlern. Alles in allem also ergeben sich auch Argumente, den Koran nicht als überragendes Wunderwerk anzusehen.
3. Selbst wenn - wäre es kein Argument.
Selbst wenn der Koran objektiv von großer sprachlicher Schönheit und poetischer Feinheit gekennzeichnet wäre, wäre das ein Beweis dafür, nur allein göttlichen Ursprungs sein zu können? Schiller und Goethe waren ebenfalls Meister ihres Fachs, doch macht das sie zu Propheten? Können nicht gerade begabte und sprachlich erfahrene Menschen große Dichtkunst hervorbringen? Poesie ist eben nicht gerade das unanfechtbare Kriterium für Wunderhaftigkeit. Zudem: Wer sprachliche Schönheiten wie Wortspiele und Formenreichtum sucht, findet in jedem Buch dafür Anhaltspunkte. Ja, gerade, weil der Koran für Jahrhunderte von Millionen von Menschen als heilig betrachtet wurde und so im Fokus stand, meinte man auch unzählige Beweise für die wunderhafte Sprache dieses Buches zu finden (die sog. islamische I’dschaz-Literatur). Daher muss bei diesen Funden eher davon ausgegangen werden, dass bei diesen ein deutlich proislamischer Bias anzutreffen sein müsste.
4. Nicht-Araber können das Argument nicht nachprüfen
Die Schönheit des Korans funktioniere laut Muslimen eben nur auf Arabisch. Man müsse diese Sprache gut kennen, um die literarische Qualität zu erfassen. Daher könne der Koran auch nicht wirklich übersetzt werden. Aber ist dies nicht dann auch ein Widerspruch für die Wunderhaftigkeit des Islams? Warum sollte der Schöpfer von Himmel und Erde sich in einem Buch offenbaren, dessen Schönheit nur in einer bestimmten Sprache verstehbar ist? Wie kann dann der Koran eine Botschaft für die ganze Menschheit sein? Muss also jeder, ob begabt oder nicht, erst eine Fremdsprache erlernen, um diesen Anspruch zu überprüfen? Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, dass auf eine bestimmte gelehrte Elite, die die arabische Ästhetik angeblich einschätzen könnte, blind vertraut wird. Wäre dieses Buch tatsächlich ein Zeichen des Allmächtigen für die ganze Menschheit, hätte Gott doch dies deutlich transparenter und nachprüfbarer gestaltet. Zudem ist die Sprache des Korans nicht einmal reines Arabisch, denn viele Wörter, wie Paradies (dschenna) oder Hölle (dschehenna), sind aus anderen Sprachen geborgt.
5. Frühe islamische Gelehrte glaubten nicht an die sprachliche Überlegenheit des Korans
Gerade auch frühe Gelehrte des Islam, darunter vor allem der Philisoph und Theologe an-Nazzam (gestorben zwischen 835 und 845), der auch am Hof des damaligen Kalifen in Bagdad angestellt war, hatten eine andere Auffassung von der Unnachahmlichkeit der Koransprache. Er ging nicht davon aus, dass der Koran zu allen Zeiten im Vergleich zu allen literarischen Werken unvergleichlich wäre. Gott habe lediglich die Dichter zur Zeit Mohammeds dazu unfähig gemacht, den Koran in seiner Eloquenz zu imitieren. So bekräftigte an-Nazzam, dass auch die Menschen imstande gewesen wären, etwas dem Koran Ebenbürtiges zu verfassen, wenn Gott sie nicht durch Erzeugung einer Unfähigkeit in ihnen davon abgehalten hätte (die sog. Sarfa-Theologie). Der Koran sei also nicht an sich ein unnachahmbares Wunder. Wäre die literarische Wunderhaftigkeit des Korans daher so augenscheinlich und unzweifelhaft gewesen, hätte diese theologische Auffassung logischerweise nicht aufkommen können. Die Sarfa-Theologie zeigt vielmehr, dass dieses Wunder nicht eindeutig gewesen war.
Fazit:
Es scheint, dass der wundersamen Ästhetik dieses für Muslime heiligen Buches bei näherer Betrachtung wenig Substanz zuzuschreiben ist. Die Behauptung kommt wohl eher von dem Versuch, Mohammeds Sendung zu untermauern. Wenn Muslime für die Wahrheit ihres islamischen Glaubens argumentieren möchten, müssen Sie dafür andere Argumente finden.