Historische Zuverlässigkeit des Lukas-Evangeliums

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Josias Göhner
veröffentlicht am 8.2.2024

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Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben, 2 wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, 3 hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, hochedler Theophilus, der Reihe nach zu schreiben, 4 damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist.

Lukas 1,1-4 (ELB)

Mit diesem Proömium (in der Antike ein Vorwort von Dichtungen und Briefen) will Lukas die Zuverlässigkeit seines Berichts dem Adressaten Theophilus versichern. Interessant ist, dass zur Zeit der Abfassung seiner Werke einige Augenzeugen und die erste Generation danach noch leben mussten. 
Damit macht Lukas sich angreifbar, wenn sich seine Darstellung als falsch erweisen würde, denn sie ist überprüfbar. 

Das lukanische Doppelwerk wurde von der Urgemeinde in den Kanon aufgenommen, wenn auch die Apostelgeschichte durch ihren römerfreundlichen Charakter zuerst einen schwereren Stand in den Kirchen hatte (Mittelstädt 2006:247). Da Lukas selbst kein Augenzeuge von Jesus war, ist sein Evangelium eine schriftliche Tradition, die jedoch auf Quellen von Augenzeugenberichten aufbaut. Lukas hatte noch die Möglichkeit, Zeitzeugen zu interviewen und hatte offensichtlich Zugang zu den frühesten christlichen Schriftquellen (:245). 
Später in der Apostelgeschichte tritt er selbst als Reisebegleiter des Paulus auf und berichtet somit aus erster Hand über dessen Leben. Ob Lukas nur vorsätzlich oder aus kulturellen Gepflogenheiten das Proömium an den Anfang seines Werkes gesetzt hat, muss geprüft werden. 

Schon im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums kam in der Forschung Kritik gegenüber der Glaubwürdigkeit des Lukasevangeliums auf. Am Anfang der Weihnachtsgeschichte in Lk 2,1-7 wird geschildert, dass Jesus geboren wurde, als Kaiser Augustus zum ersten Mal eine Einschreibung für den gesamten Weltkreis verordnete und Quirinius Statthalter in Syrien war. 
Die Probleme, die Kritiker in der Weihnachtsgeschichte sahen, waren erstens das Fehlen von Zeugnissen für solch eine Einschreibung aus der dargestellten Zeit und zweitens die damalige Quellenlage, die darauf hindeutete, dass Quirinius erst 6 n. Chr. Statthalter von Syrien gewesen war. 
Zu dieser Zeit lebte jedoch Herodes nicht mehr, während in Mt 2,3 zu lesen ist, Jesu Geburt sei zur Zeit des Herodes gewesen (Ramsay 1920:226). Aufgrund dieser Tatsachen wurde Lukas von Kritikern als schlechter Historiker abgestempelt, der Jesu Geburt nur nach Bethlehem zu verlagern versuchte, um die alttestamentlichen Prophetien zu erfüllen. 
Da schon direkt am Anfang des Lukas-Evangeliums sich scheinbar fehlerhafte Informationen vorfinden ließen, wurde auch auf den Rest des Evangeliums auf keine authentische Darstellung von Jesus geschlossen (:223). 

Auch die Apostelgeschichte wurde nicht besser betrachtet. Tatsächlich herrschte lange Zeit die Meinung, dass sie der schwächste Teil des Neuen Testaments sei (:38). Es wurde angenommen, der Autor der Apostelgeschichte hätte aus der Mitte des 2. Jahrhunderts geschrieben und nicht intendiert, Fakten zu berichten, sondern in seiner eigenen Zeit selbst Einfluss zu nehmen, indem er den Menschen aus dem 1. Jahrhundert mehr zuschrieb als ihnen gebührte und deren Geschichte er zusätzlich mythologisierte. Es herrschte die Annahme, dem Autor der Apostelgeschichte seien historische oder geographische Informationen um die Jahre 40-60 n. Chr. unwichtig gewesen, denn er wollte viel mehr die Menschen in sei-ner Zeit um 160-180 n. Chr. durch seine Schilderungen emotional berühren. 

So dachte auch der Althistoriker Sir William Mitchell Ramsay, der zu Beginn seiner Studien in Kleinasien von der kritischen Meinung der Tübinger Schule überzeugt war (:16). Ramsay, welcher als Professor an der Universität Aberdeen lehrte und sich der Historischen Geografie Kleinasiens widmete, änderte im Laufe seiner Studien in Kleinasien seine Vorurteile radikal gegenüber dem lukanischen Doppelwerk (:31). Über die anfängliche Berücksichtigung der Apostelgeschichte für seine Forschung der historischen Geographie Kleinasiens schrieb er:

“Neben anderen alten Büchern, die Reisen in Kleinasien beschreiben, musste ich die Apostelgeschichte neu lesen. Ich begann damit, ohne irgendwelche wertvollen Informationen über die Zustände in Kleinasien zu erwarten, als Paulus lebte. Ich hatte viel moderne Kritik über das Buch gelesen und akzeptierte pflichtbewusst die gängige Meinung, dass es in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts von einem Autor geschrieben wurde, der die Menschen seiner Zeit durch eine höchst kunstvolle und fantasievolle Beschreibung der frühen Kirche beeinflussen wollte.” (:37)

Ramsay widmete sich zuerst der Apostelgeschichte, da sie möglicherweise interessante Informationen für sein Forschungsgebiet besitzen könnte. Er untersuchte sie auf geographische und archäologische Hinweise für die Zeit, in welcher der Autor lebte. 
Dabei entstanden bei ihm Zweifel über die vorherrschende Spätdatierung der Apostelgeschichte. 

In Apg 14,6 wird die Flucht von Paulus und Barnabas von Ikonion in die Städte von Lykaonien beschrieben. Damit wird impliziert, dass Paulus und Barnabas bei ihrer Flucht eine Grenze in eine neue Region, das Gebiet Lykaonien, übertreten haben mussten. Zur Zeit Ramsays wurde jedoch angenommen, dass Ikonion im Jahr 50 n. Chr. eine Stadt im Gebiet Lykaonien war (:40). Das wäre, als wenn man behaupten würde, jemand müsse aus Stuttgart in die Städte Baden-Württembergs reisen. Diese Stelle machte zum damaligen Forschungsstand keinen Sinn und sollte beweisen, dass der Autor die Geographie des Landes selbst nicht gut genug  kannte. Es bestätigte also vorläufig die kritische Position gegenüber der Apostelgeschichte. Doch nach Untersuchungen von alten Berichten und eigenen Forschungen und Ausgrabungen in Kleinasien offenbarten die Quellen, dass Ikonium tatsächlich im 1. Jahrhundert nicht zu der Region Lykaonien gehörte (:42). 

Nach seinen Untersuchungen verfasste Ramsay folgende Schlussfolgerung:

"Dieser Beweis unterstützt und bestätigt Lukas: Ikonium lag nicht in Lykaonien, und Paulus überschritt, als er nach Lystra ging, die Grenze nach Lykaonien." (:56) 

Etwas später schrieb er außerdem: 

Diese Passage in der Apostelgeschichte ist korrekt: die erwähnten Grenzen entsprechen der Zeit, in der die Handlung liegt: sie sind nicht durch die irrtümliche Anwendung antiker Aussagen durch einen späteren Autor auf eine Zeit gelegt, in der sie nicht mehr relevant waren: sie beruhen auf Informationen, die von einem Augenzeugen gegeben wurden, einer Person, die an der beschriebenen Handlung beteiligt war. Der Leser kann, wenn er die Erzählung richtig liest, mit den Augen eines Mannes sehen und mit den Ohren eines Mannes hören, der dabei war und alles miterlebt hat, was geschehen ist. - (:79) 

Seine Sichtweise auf Lukas änderte sich komplett: Von jemanden, der anscheinend die Region überhaupt nicht zu kennen schien, wurde Lukas auf einmal zu einem genauen Kenner der Geographie Kleinasiens. Dadurch wurde auf einmal die Kritik an der Apostelgeschichte unglaubwürdig und Zweifel über eine Datierung der Apostelgeschichte in das 2. Jahrhundert kamen auf (:80). Wie hätte der Autor die Einteilung der Gebiete so treffend schildern können, wenn bei ihm im 2. Jahrhundert die Gebiete ganz anderes angeordnet waren? 
Durch seine Forschungen in Kleinasien und der Apostelgeschichte fasste Ramsay zusammen: 

"Die Frage, die sich die Gelehrten heute stellen, betrifft die Glaubwürdigkeit des Lukas als Historiker. Es wird allgemein anerkannt, dass er zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt geschrieben hat, und dass er Autoritäten von hohem Charakter hatte, selbst dort, wo er selbst kein Augenzeuge war. Inwieweit können wir seinen Berichten Glauben schenken? Der Verfasser vertritt die Ansicht, dass die Geschichte des Lukas an Vertrauenswürdigkeit nicht zu übertreffen ist. In diesem Punkt sind wir beschreibend." (:81)

Die Genauigkeit und Korrektheit, die er in der Apostelgeschichte vorfand, änderte seine Einstellung gegenüber Lukas als Autor und Ramsay legte sein Augenmerk auf weitere Informationen, die er in der Apostelgeschichte fand. Für ihn war klar: 

"Natürlich besteht eine gewisse Vermutung, dass ein Schriftsteller, der sich in einem Punkt als genau und korrekt erweist, dieselben Qualitäten auch in anderen Bereichen zeigt. Kein Schriftsteller ist rein zufällig korrekt oder sporadisch genau. Er ist aufgrund einer bestimmten Geisteshaltung genau. Manche Menschen sind von Natur aus genau, andere sind von Natur aus locker und ungenau. Es ist nicht zulässig, dass ein Schriftsteller gelegentlich genau ist und in anderen Teilen seines Buches ungenau. Jeder hat seinen eigenen Standard und sein eigenes Maß an Arbeit, das durch seinen moralischen und intellektuellen Charakter hervorgebracht wird.“ (:80) 

Mit diesem Ansatz breitete sich für seine Studien ein fruchtbarer Weg vor ihm aus: 

"Es gab nichts Vergleichbares. Kein anderer antiker Reisender hat einen Bericht über seine Reisen durch Kleinasien hinterlassen; und wenn der Bericht über die Reisen des Paulus auf erstklassiger Autorität beruht, so gab er mir ein Dokument von einzigartigem und außergewöhnlichem Wert in die Hand, um meine Untersuchungen zu leiten." (:81) 

Durch folgende Forschungen anhand der Apostelgeschichte, kam er zu dem Ergebnis: "Das weitere Studium der Apostelgeschichte XIII-XXI zeigte, dass das Buch als Autorität für die Fakten der Ägäischen Welt der genauesten Prüfung standhält und dass es mit einem solchen Urteilsvermögen, Geschick, einer solchen Kunst und einem solchen Wahrheitsempfinden geschrieben wurde, dass es ein Musterbeispiel für historische Aussagen ist. Es ist wunderbar prägnant und doch wunderbar klar." (:85)

Während damalige Theologen die Zeugnisse der Autoren des Neuen Testaments als voreingenommen und unglaubwürdig betrachteten (:85), kam Ramsay durch seine Studien an der Apostelgeschichte zu der Einsicht: 

"Indem sie Christen wurden, hörten diese Schriftsteller nicht auf, Menschen zu sein: sie gewannen nur jenes Element der Gründlichkeit, der Aufrichtigkeit und des Enthusiasmus, dessen Fehlen in der späteren klassischen Literatur so unangenehm ist." (:83) 

Seine Forschung in Kleinasien bestätigten die geo-graphischen und politischen Inhalte der Apostelgeschichte in ihrer Glaubwürdigkeit. Durch den Bericht der Apostelgeschichte kann der Leser Einblicke in das römisch-griechische Leben aus dem 1. Jahrhundert bekommen: 
"Wir sollten auch die zarte Wahrheit bewundern, mit der Lukas in seiner Erzählung die Seele des römischen und griechischen Lebens einfängt und sie uns in dem Bericht über das, was Paulus in den verschiedenen Städten, die er besuchte, widerfuhr, vor Augen führt. Hier haben wir das wirkliche Leben in seiner ganzen Wahrheit und Vielfalt, ausgedrückt mit einer Lebendigkeit, die nur von einem Augenzeugen kommen kann, der erzählt, was er gesehen und gehört hat." (:83)

Aufgrund der Apostelgeschichte wurde Ramsay auch auf das Lukasevangelium aufmerksam. "Die Überzeugung wurde in mir immer stärker, dass das Buch eine Einheit war und dass ein Teil nicht vom Rest als wahr abgetrennt werden konnte, während der Rest des Buches auf einer niedrigeren Ebene der Vertrauenswürdigkeit stand. Der Autor ist sehr einfühlsam, was die Vorzüglichkeit seiner Autoritäten angeht (Lk 1,1-3), und lässt keine Ausnahmen zu: Er ist als Ganzes vertrauenswürdig oder gar nicht. Die Qualität seiner Arbeit ist so einheitlich wie der Stil. Die Teile, in denen der Geschichtsschreiber als Augenzeuge spricht, die "Wir-Passagen", sind nicht mehr oder weniger lukanisch im Charakter, nicht freier von wunderbaren Begleiterscheinungen, als der Rest." (:200) Mit dem Ergebnis, Lukas beweise einen vertrauenswürdigen Charakter, nach seinen Forschungen in und seiner Prüfung der Apostelgeschichte, betrachtete Ramsay die zu Beginn dargelegte Problematik der Geburtsgeschichte Jesu des Lukas-Evangeliums, die Kritiker zu der Sicht kommen ließ, das ganze Evangelium als unglaubwürdig zu bewerten (:223). 

Obwohl es für die scheinbar erste Volkszählung des Augustus keine positiven Beweise gibt, war sogar Theodor Mommsen der Meinung, dass sie tatsächlich zur Zeit der Geburt Jesu stattgefunden haben musste (:230). Es ist verständlich, dass solch ein administratives Unternehmen nicht gerade der Fokus antiker Historiker war, die sich vielmehr auf die großen Ereignisse wie Kriege, Belagerungen und Dynastien konzentrierten (:240). Zudem ist das Fehlen weiterer Quellen kein Beweis für die Nichtexistenz eines Ereignisses. Nur weil es keine Quelle für ein gewisses Event gibt, heißt das noch lange nicht, dass es nicht stattgefunden habe. Das letzte Abendessen einer Person fand auch dann statt, wenn es nicht über die Sozialen Netzwerke geteilt wurde und von allen gesehen wurde. Zwar gibt es keinen Beleg für die erste Einschreibung des Augustus zur Zeit der Geburt Jesu, doch gibt es tatsächlich Belege für Einschreibungen der selben Art von anderen Historikern. So berichtet Pliny von einem Mann, der unter der Regierung von Claudius im Jahr 48 n. Chr. behauptete, er sei 150 Jahre alt. Diese Angabe weckte das Interesse des Kaisers, der die Angabe durch seine Beamten überprüfen ließ. Diese bestätigten dann letztendlich sogar noch die Behauptung dieses Mannes (:252). Wie konnte das Alter des Mannes geprüft werden? Durch Archive und Dokumente aus vorherigen Einschreibungen, die auf Seiten des römischen Staates durchgeführt worden sind. Dass Lukas von einer regelmäßigen Volkszählung schreibt, wird klar, wenn man Lk 2,2 genau ließt, wo steht, die Einschreibung sei die erste gewesen. Damit wird ein sich regelmäßig wiederholendes Einschreibungssystem impliziert. Die frühen Leser des Lukas-Evangeliums müssen also solche Einschreibungen aus ihrem eigenen Leben bereits gekannt haben (:241). Dass bei solchen Einschreibungen jedes Familienglied präsent sein musste, bewies Ulrich Wilcken (:273). Zusätzlich bestätigen zwei christliche Schriftsteller, dass Jesus bei der ersten Volkszählung geboren wurde. Wie sich herausstellen wird, haben beide ihre Informationen nicht aus Lukas abgeleitet und sind somit vom Lukasevangelium unabhängig zu betrachten. Clemens von Alexandria schrieb, dass Jesus im Jahr 28 (nach damaliger Zeitrechnung) geboren wurde, als es zum ersten Mal Einschreibungen gab (:241). Da zu seiner Zeit im 2. Jahrhundert in Alexandria noch solche Einschreibungen existierten, berichtet Clemens aus eigener Erfahrung über solch eine Volkszählung (:242). Clemens musste sein Wissen nicht aus Lukas ableiten, da er selbst noch in einer Zeit lebte, in der solche regelmäßigen Einschreibungen Teil der Lebenswelt waren. Wir können auch erkennen, dass Clemens von solchen Einschreibungen nicht nur in Ägypten ausging, sondern sie auch auf das Gebiet in Palästina übertrug. In seiner Zeit müssen also solche Einschreibungen überregional stattgefunden haben. Als Zweiter berichtet Tertullian davon, dass Jesus geboren wurde, als die Volkszählung in Syrien von Sentius Saturninus 6-8 v. Chr. durchgeführt worden ist (:243). Dass Sentius Saturnius um 6-8 v. Chr. in Syrien regierte, wird von Josephus bezeugt (:243). Da Tertullian als Verantwortlichen für die Volkszählung Sentius Saturnius konstatiert und nicht Quirinius, wie Lukas es schreibt, erhielt auch er seine Informationen von anderen unabhängigen Quellen und nicht aus Lukas. Doch das wirft die Frage danach auf, wie sich die zwei Statthalter Quirinius und Sentius Saturnius miteinander erklären lassen? Anfänglich wurde angenommen, dass es sich bei den verschiedenen Statthaltern um einen Widerspruch handeln muss. Doch das ist nicht der Fall, denn beide Personen lassen sich zusammenführend erklären. Während Lukas den klassischen Weg gegangen sein könnte und den offiziellen Statthalter nannte, könnte Tertullian mit Sentius Saturnius die Person genannt haben, durch die die Volkszählung durchgeführt wurde (:245). Diese Möglichkeit ordnet beiden Personen zur selben Zeit am selben Ort unterschiedliche Positionen zu. Hinzu gibt es auch zwei Möglichkeiten, beide Personen als Statthalter von Syrien zu erklären:

"(1) Wenn Quirinius einen Teil des Jahres über Syrien herrschte und von Sentius abgelöst wurde, wären sowohl Lukas als auch Tertullian technisch korrekt. Wir haben gesehen, dass die Volkszählung ein ganzes Jahr dauerte und dass die Methode bis 62 n. Chr. nicht in allen Einzelheiten festgelegt war. Es kann gut sein, und in der Tat kann es als unvermeidlich angesehen werden, dass es bei der Durchführung der ersten Volkszählung eine Menge Schwierigkeiten gab, besonders in Palästina.

(2) Man könnte vermuten - und dies ist die wahrscheinlichste Lösung der Frage -, dass sowohl Quirinius als auch Sentius zur gleichen Zeit Legaten des Augustus in Syrien waren und unterschiedliche Aufgaben hatten. Es wäre für Quirinius schwierig, sich um die rein syrischen Angelegenheiten zu kümmern, wenn er diesen Krieg zu führen hatte. Es ist bekannt, dass in verschiedenen anderen Fällen zwei Legaten des Kaisers zur gleichen Zeit in einer Provinz anwesend waren. Wenn Quirinius die Legionen und militärischen Mittel Syriens befehligte, während Sentius sich um die heiklen und komplizierten politischen Beziehungen in Syrien und Palästina kümmerte, hatten beide genug zu tun. Als Quirinius im Jahr 6 n. Chr. zurückkehrte, um Syrien zu verwalten, führte dies natürlich zu dem Ausdruck auf seinem Epitaph "legatus of Syria again" (legatus iterum Syriæ)." (:293)
Da sich also kein Widerspruch für die Nennung zwei unterschiedlicher Namen ergibt, unter denen die Einschreibung stattfand, führt das noch zu der Frage, ob Quirinius schon einmal Statthalter von Syrien war, bevor er nachweislich 6 n. Chr. dieses Amt begleitete, als Herodes schon tot war. Tatsächlich kam auch die moderne Forschung zu dem Schluss, dass Quirinius zweimal Syrien regierte (:277). Damit verbunden ist der Streit des Augustus mit den Homonadensern, da diese 25 v. Chr. den König Amyntas töteten und Augustus als dessen Erbe die Pflicht hatte, diesen Streit auszutragen, um die Tat zu rächen. Hier kommt nun Quirinius ins Spiel. Da er zuvor sich in Auseinandersetzungen erfolgreich bewiesen hatte, erwies er sich als der richtige Mann, um diesen Konflikt zu lösen. Außer in Syrien waren nirgends sonst in Asien römische Legionen stationiert. So wurde Quirinius ganz natürlich zum Statthalter gewählt (:279). "In der Tat ist nun bewiesen, dass der homonadensische Krieg, während dessen Quirinius die Regierung von Syrien innehatte, viel früher stattgefunden haben muss; und man kann getrost sagen, dass das Konsulat des Quirinius im Jahre 12 v. Chr. dazu diente, ihn für die Führung der Armeen von Syrien zu qualifizieren und die Vorbereitung für diesen Krieg zu organisieren. Dies geht aus einer Reihe von Inschriften hervor, die in Kleinasien in den südlichen Teilen der Provinz Galatien am nördlichen Rand des homonadensischen Teils der Taurusregion und im pisidischen Taurus westlich des homonadensischen Gebiets gefunden wurden. Dieser Beweis war Mommsen unbekannt, als er 1883 über Quirinius schrieb; und, wie ich von ihm selbst weiß, sah er, dass er die Frage beeinflusste." (:281) So ist es sowohl möglich als auch wahrscheinlich, dass Quirinius zur Zeit der ersten Volkszählung schon einmal Statthalter von Syrien war, als Herodes noch lebte (:293).

Die Entdeckungen, die Sir William Mitchell Ramsay in Kleinasien machte, bestätigten, dass Lukas dem Vorsatz in seinem Proömium folgte und zuverlässig und korrekt seinen Bericht verfasste. Selbst geographische Details wurden von ihm zuverlässig wiedergegeben. Ramsay, der durch die Tübinger Schule zuerst skeptisch dem Autor der Apostelgeschichte gegenüberstand, kam später zu der bemerkenswerten Aussage: "Kurzum, dieser Autor gehört in die Reihe der ganz großen Historiker." (:293)

Quellen

Mittelstaedt, Alexander: Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerks. Tübingen 2006

Ramsay, Sir William Mitchell: The bearing of recent discovery on the trustworthiness of the New Testament. London 1920