Finden wir Wahrheit in allen Religionen?

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Dave Krohn
veröffentlicht am 13.11.2024

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Religion als Phänomen

Religionen oder religiöse Phänomene in abgegrenzte Schubladen zu stecken wäre ein Fehler. Keine Religion kann sich vollkommen von geschichtlichen und kulturellen Einflüssen abgrenzen. Man kann den Koran mit seinen unzähligen Versen über die Christen nicht vom Christentum abgrenzen. Man kann das Christentum nicht vom Judentum trennen, weil Jesus nun mal Jude war. Religionen und Glaubenssysteme entstehen nicht in einem Vakuum. Sprache, Geschichtsschreibung und kulturelle Praktiken - all diese Dinge sind eingeflossen in die großen religiösen Schriften (Bibel, Koran, Veden,…), wie wir sie aus den verschiedenen Religionen kennen. 
Nun beschränkt sich das Phänomen Religion nicht auf die fünf Riesen1 - religiöse Fragen und Vorstellungen waren schon immer Bestandteil der menschlichen Erfahrung, wie zum Beispiel das Weiterleben der Verstorbenen nach dem Tod.2 Alleine der Fakt, dass die gleichen Weltanschauungsfragen auf den verschiedenen Kontinenten zu verschiedensten Zeiten aufkommen, stellt die Verbindung zwischen der menschlichen Natur und dem Religiösen dar. 

Wahrheit: Nur in Jesus oder überall?

Nun reden wir als Christen ganz selbstverständlich davon, dass Jesus die Wahrheit ist. Oftmals wird damit in Verbindung gebracht: Alle anderen Religionen liegen völlig falsch und sind gänzlich abzulehnen. Dabei begibt man sich in einen Widerspruch, denn: Andere Religionen treffen die gleichen Aussagen wie die Bibel. Einige Beispiele:

  • Besiege das Böse mit dem Guten: Römer 12,21 und Dhammapada 223 (Buddhismus)
  • Es gibt nur einen Gott: Deuteronomium 6,4 und Sure 112,1 (Islam)
  • Der Mensch ist nicht nur Körper: Genesis 2,7 und Guru Granth Sahib, Ang 27 (Sikhismus)
  • Die Toten werden am Jüngsten Tag auferstehen: 1. Korinther 15 und Avesta, Yasna 30 (Zoroastrismus) 

Dies sollte uns nicht verwundern! Bereits Paulus deutet an, dass es gewisse Grundwahrheiten gibt, die allen Menschen zugänglich sind: 

[…] weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, da Gott es ihnen offenbar gemacht hat; denn sein unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit Erschaffung der Welt an den Werken durch Nachdenken wahrgenommen, sodass sie keine Entschuldigung haben. - Römer 1,19+20

Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, da sie ja beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, was auch ihr Gewissen bezeugt […] - Römer 2,14+15

Wie können wir das verstehen? Gott offenbarte sich in der Geschichte der Menschheit auf vielerlei Art und Weise. Schon im Alten Testament gibt es dabei große Unterschiede: Mal spricht er durch Propheten, mal durch Träume, mal durch übernatürliche Zeichen und Wunder. Die Selbstoffenbarung Gottes geschieht weltweit auf einer allgemeinen Ebene. Durch die menschliche Suche nach dem, was in seinem Herzen verloren und gefangen scheint - die Bibel nennt das vielleicht die “Ewigkeit im Herzen”3 - stößt er auf Wahrheiten, weil Gott sich nicht aktiv vor ihm verbirgt. Vielmehr gilt ja, dass Gott sich finden lassen möchte.4 Dadurch wird klar: Da wo ein Mensch mit ganzem Herzen und ehrlich nach Gott sucht, wird er Wahrheit finden. Dies scheint für viele Christen ein gefährlicher Gedanke zu sein, die Gefahr sehend, in einen interreligiösen Universalismus abzurutschen. Doch indem wir einzelne Wahrheiten in anderen Religionen erkennen, können wir in Gesprächen mit Menschen anderer Religionen auch das bejahen, was sie bereits an Wahrheit erkannt haben - und müssen nicht die vom Anderen erkannten Wahrheiten abwerten, nur um sie dann selbst wieder zu nennen. Das ist nicht nur unnötig kompliziert - es wertet auch die Vernunftfähigkeit des Gegenübers ab. 

Nur eine Wahrheit

Nun macht Jesus aber einen Monopolanspruch auf Wahrheit, wenn er sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. […] (Joh. 14,6). Die Bibel macht deutlich, dass Jesus die Vollendung der Offenbarung Gottes ist.5 Wie kommt das also zusammen? Interessanterweise spricht die Bibel davon, dass Menschen bereits im Alten Testament gerecht gesprochen wurden vor Gott. Kannten diese Menschen Jesus? Nein! Hebräer 11 macht jedoch deutlich, dass von Abel über Abraham und bis zu David und den Propheten viele Menschen gerecht gesprochen wurden - und zwar durch Glauben. Glaubten sie an Jesus? Indirekt. Paulus macht im 1. Korintherbrief deutlich, dass Jesus präexistent ist - schon vor seiner Menschwerdung war er in den alttestamentlichen Geschichten wirksam.6 Auch Johannes 1 zeigt dies klar. Die Menschen glaubten also an die Wahrheit, die ihnen möglich war zu ergreifen. Diese “vorwissende Gnade” zeigt, dass Gott den Glauben der Menschen sieht, der letztendlich zu Christus führt, auch wenn sie noch nicht die Vollendung ihrer eigenen Glaubenssuche kennen, nämlich Jesus Christus selbst. 

Genauso verhält es sich auch in dieser Welt. Viele Menschen suchen nach der Wahrheit, aber sie kennen die Botschaft des Evangeliums nicht. Sie suchen nach Gott, können aber alle seine Eigenschaften noch nicht ergründen. Reicht es also, sie in ihrer Suche stehen zu lassen? Nein, absolut nicht. Indem wir Jesus verkündigen und aufzeigen ermöglichen wir vielen Menschen, die ultimative Antwort auf die Sinnsuche des Lebens zu finden. Jesus ist die Vollendung der Offenbarung Gottes - und damit auch der einzige, der von sich behaupten kann, die Fülle aller Wahrheit in sich zu haben. Viele Religionen treffen wahre Aussagen, die wir bejahen sollen und müssen. Aber eine wahre Aussage bildet noch nicht das ab, was Jesus als das “Leben in Fülle” beschreibt. Letztendlich ist biblische Wahrheit nicht reduzierbar auf ethische Normen oder philosophische Systeme, sondern sie entspringt und mündet in einer lebendigen Person, sodass die Bibel sagen kann:

Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. - Johannes 17,3

Wahrheit hat mit der Realität zu tun. Von dieser gibt es per Definition nur eine, weil es hier um die Dinge an sich (lat. res: Sache, Ding oder Wesen) geht. Wer ablehnt, dass es eine schlussendliche Wahrheit gibt, muss ablehnen, dass es eine Realität, dass es echte Konsequenzen, dass es Gutes und Schönes und dass es Sinn gibt. Jesus ist laut Selbstaussage der Bibel diese ultimative, präexistente, alles bestimmende und ewige Realität. Viele Religionen erfassen Teile - teilweise große Teile - dieser Realität. Jesus bildet den Kern der Realität. 

Quellen und Fußnoten

1 Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus. Der Soziologe Max Weber nennt jedoch weitere Systeme wie den Daoismus und den Konfuzianismus und fasst die Abrahamitischen Religionen zusammen. 

2 Vgl. Eliade, Mircea: Geschichte der religiösen Ideen - Band 1, Paris 1992, Herder, S. 20ff

3 Vgl. Prediger 3,11

4 Vgl. Jesaja 29,13-14; Matthäus 7,8

5 Vgl. Hebräer 1,1+2; Kolosser 2,9

6 Vgl. 1. Korinther 10,1-4