Evangelisation kontra Dialog?
Simon Garrecht
veröffentlicht am 23.8.2024
Einleitung
Oftmals werden mit „Evangelisation“ eher negative Eigenschaften wie Arroganz, sich über den anderen erhebendes Mitleid und Aufdringlichkeit verbunden, aber auch das Führen eines Monologs, statt des Haltens eines Dialogs (Kraus 1998:39). Christliche Evangelisation sieht sich oftmals der Kritik ausgesetzt, einer dialogischen Begegnung auf Augenhöhe entgegenzutreten. Diese gelte sowohl für Begegnungen im Alltag als auch für den interreligiösen Dialog. So werden „Evangelisation“ und (Interreligiöser) „Dialog“ teilweise sogar als Antonyme verwendet, wie etwa auf einer Archiv-Webseite des Ökumenischen Rates der Kirchen in Bezug auf die Evangelisation von Jüdinnen und Juden:
"The mission and activities of the organism have deeply changed since their origins. Thus, the old ICCAJ had the aim of converting the Jews to Christianity. After the Shoah, the organism's mission changed and turned to the interreligious dialogue and the fight against anti-Semitism, rather than evangelism.„
An der Gegenüberstellung von interreligiösem Dialog einerseits und Evangelisation andererseits wird deutlich, dass beide als Gegensätze verstanden werden. Kritik an christlich-evangelistischen Bemühungen beschränkt sich nicht auf den jüdischen Kontext, sondern wird auch über diesen hinaus angebracht. Im Rahmen einer Akademietagung des „Forum Religionen und Weltverantwortung“ veröffentlichten islamische und christliche Theologen 2008 eine gemeinsame Erklärung, die eine kritische Haltung gegenüber christlicher Missionspraktiken zum Ausdruck bringt, die mit einem exklusivistischen Glaubensverständnis und der Absicht der „Bekehrung“ Andersgläubiger einhergehen. In der Erklärung wird nicht abgestritten, dass angesichts eines solchen Verständnisses von Mission ein Dialog zwischen Religionen grundsätzlich möglich sei, doch komme dieser damit letztlich nicht über theologische Diskussionen hinaus (Evangelische Akademie Baden 2023:Erklärung zum Thema Mission in Christentum und Islam). Die Behauptung, der eigene Glaubensweg sei der allein wahre, blockiere dabei aber letztlich eine offene theologische Auseinandersetzung und entzieht einem sinnvollen Zusammenleben der Religionen die Grundlage. Zudem führt die Erklärung, die Notwendigkeit eines „ausdrücklichen Verzicht auf tradierte Überlegenheitsansprüche und Macht“ als Grundlage für eine gemeinsame Verständigung an. Im Kontext der Erklärung, wird das von ihnen kritisierte Glaubens- und Missionsverständnis also mit dem Ausüben von Macht und einer empfundenen Überlegenheit über das nichtchristliche Gegenüber in Verbindung gebracht (2023:Erklärung zum Thema Mission in Christentum und Islam). Auch die beiden Autoren Oda Lambrecht und Christan Baars gehen von einer Gegensätzlichkeit von interreligiösem Dialog und evangelistisch ausgerichteter Mission aus und setzen sich in einem gemeinsamen Buch, kritisch mit den Positionen evangelikaler Christen auseinander. In einem Interview zu diesem Buch, äußerte Lambrecht: „Evangelikalen geht es mehr um Mission statt um Dialog“ (PRO 2009) und macht im selben Absatz deutlich, dass sie und Baars in dem Missionsverständnis der Evangelikalen eine Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben erkennen (PRO 2009).
Kritisch sehen sie dabei dabei vor allem den Absolutheitsanspruch der Evangelikalen, was für sie mit einem Glaubensverständnis verbunden ist, dass sich aus ihrer Sicht „mit einem wirklichen fruchtbringenden Dialog nicht vereinbaren lässt.“ (PRO 2009). In der Ansicht, jemanden „erretten“ zu wollen, stecke eine Abwertung der Glaubensform oder des Nichtglaubens des anderen, sodass dessen Position als falsch vorausgesetzt wird und man sich darum nicht wirklich mit dieser auseinandersetzt (PRO 2009). Dialog-Fähigkeit wird als eine bedeutsame Zugangsvoraussetzung für gesellschaftliche Entscheidungsprozesse gesehen, sodass die eigene gesellschaftliche Anerkennung, ja Duldung, maßgeblich mit dieser Befähigung zusammenhängt (Hempelmann 2015:356). Daran zeigt sich, die Schwere der Vorwürfe und die Relevanz für eine Auseinandersetzung mit diesen.
Die vorliegende Ausarbeitung soll sich der Verhältnisbestimmung zwischen Evangelisation und dem Dialog mit Vertretern anderer Weltanschauungen und Glaubensrichtungen widmen. Dabei soll geklärt werden, wie sich die beiden Begriffe „Dialog“ und „Evangelisation“ zueinander verhalten und inwieweit es zutreffend ist, dass ein christlich-exklusivistisches Glaubensverständnis einem offenen Dialog mit Vertretern anderer Weltanschauungen und Religionen im Wege steht. Es soll dabei untersucht werden, inwieweit Evangelisation tatsächlich ein Ausüben von Macht ist und kulturelle Überlegenheit zum Ausdruck bringt. Zudem soll untersucht werden, welche Evangelisations-Methoden mit den missiologischen Rahmenbedingungen des Neuen Testaments vereinbar sind. Hierzu werde ich verschiedene dialogische Modelle und die Rahmenbedingungen dialogischer Begegnung betrachten. Dies soll helfen, zu einer differenzierten Betrachtungsweise auf das Verhältnis von Evangelisation und Dialog zu gelangen und herauszufinden ob und inwieweit beide als Gegensätze zu verstehen sind und von der kritisierten evangelikalen Gemeinschaft als solche verstanden werden.
Biblisch-Theologische Rahmenbedingungen
Das biblische Zeugnis von der Selbstoffenbarung Gottes macht deutlich, dass diese als objektive Weitergabe göttlicher Informationen verstanden werden will, die nicht an bestimmte Kulturen gebunden ist (Kraus 1998:23). Damit ist jenen Auffassungen, welche Evangelisation mit dem Überstülpen der eigenen Kultur verbinden, die biblische Legitimation entzogen. Gleichzeitig ergibt sich aus dem christlichen Verständnis vom in Raum, Zeit und Geschichte erkennbaren Offenbarungshandeln Gottes, ein Standpunkt, den der christliche Dialogpartner als unaufgebbare Voraussetzung mitbringt. Im Rahmen dieser Kursarbeit kann nicht das Gesamtzeugnis des Neuen Testaments oder gar der gesamten Bibel beleuchtet werden. Ich möchte im Folgenden darum nur einige der zentralen neutestamentlichen Passagen zur Verhältnisbestimmung von Evangelisation und Dialog anführen. Nach Lambrecht und Baars leisten evangelikale Christen einem (von ihnen kritisierten) biblischen Missionsbefehl Folge, wenn sie darum bemüht sind, Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen. Dies sagen sie mit Verweis auf den Missionsbefehl (Lambrecht & Baars 2013:186):
Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.
Weitere Missionsbefehle Jesu finden sich in den Evangelien in Joh 20,21 und Lk 24,47-49. Dort heißt es an die Jünger Jesu gerichtet in Vers 47:
und in seinem Namen (muss) Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem.
Diese für die Missionstheologie zentrale Aussagen, sind eine aktive Aussendung der Jünger Jesu, zu Menschen, aus den verschiedensten Völkern und damit religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen. Christliche Mission und Evangelisation beschränkt sich also wesensmäßig nicht auf Menschen, welche die eigene, christliche Glaubensauffassung bereits teilen, sondern ist explizit auf jene ausgerichtet, bei denen dies (noch) nicht der Fall ist. Bei Lukas und Paulus werden „Evangelisten“ als gesonderte Amtsträger aufgeführt (siehe Apg 21,8; Eph 4,11; 2. Tim 4,5) womit gezeigt wird, dass organisierte Evangelisation ein Bestandteil des frühchristlichen kirchlichen Lebens war. In der Apostelgeschichte, werden eine Reihe von Beispielen dafür angeführt, wie sich diese missionarische Verkündigung in der Praxis ausgeprägt hat. Über den Apostel Paulus wird hier berichtet, dass dieser aktiv Synagogen und andere Orte aufsuchte um dort Menschen argumentativ von seinem Jesus-Glauben zu überzeugen (Apg 9,22; 17,2-3; 18,4; 19,8; 28,23). In seiner Areopagrede (Apg 17,16-34) findet sich zudem ein exemplarisches Beispiel von Evangelisation in einem Kontext, der von einer Pluralität verschiedener Denkweisen und religiöser Vorstellungen bestimmt war. So vertritt Paulis hier exklusivistische Glaubensüberzeugungen (17,30), gesteht ihnen das aber Errichten eines Altares als legitimen religiösen Ausdruck ihrer aufrichtigen Suche nach Gott (17,23), ja ihrer religiösen Bemühungen als Ganzem zu (17,27). Zudem drückt er seine Zustimmung aus, über gewonnene Erkenntnisse griechischer Dichter aus dem kulturellen Milieu seiner Zuhörer (17,28). Aus der Tatsache, dass sich Paulus im Vorfeld mit der Literatur seiner Hörer auseinandergesetzt hat, kann abgeleitet werden, dass er diesen gegenüber innerlich zugewandt ist, sowie interessiert an den Überzeugungen, die sie prägen und möglicherweise bewegen. Außerdem verdeutlicht es, dass er nicht davon ausgeht, dass ausschließlich Jesus-Gläubige Menschen zu richtigen Erkenntnissen gelangen können und gelangen.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Die Welt des 21. Jahrhunderts hat sich in vielerlei Hinsicht gewandelt zu dem Kontext und damit den Rahmenbedingungen, in der Evangelisation in früheren Jahrhunderten in der westlichen Welt, aber auch global stattfand. Das Christentum war bis in das späte 19. Jahrhundert hinein, die dominierende Weltanschauung in den Ländern des Globalen Nordens. Dies wirkte sich auf Evangelisation dahin gehend aus, dass mit einer größeren Selbstverständlichkeit an biblische Inhalte und Überzeugungen angeknüpft werden konnte. Doch hat in diesen Ländern die christliche Weltanschauung, in vielerlei Hinsicht ihre gesellschaftliche Dominanz und vereinende Bindekraft eingebüßt. Dies geht einher mit einer größeren Breite an Weltanschauungen und Religionen, die den gesellschaftlichen Diskurs mitbestimmen und traditionell-christliche Glaubenssätze nicht mehr als allgemeingültig und verpflichtend erscheinen lassen (Hempelmann 2015:434). Christliche Mission fand in früheren Zeiten in den Kirchen des Globalen Südens zumeist von einem Stand der technologischen Errungenschaft heraus statt (Kraus 1998:17). Dies hatte zur Folge, dass westliche Missionare häufig dazu geneigt waren, den Menschen, zu denen sie ausgesandt waren, mit einer Haltung zu begegnen, die von einer Überlegenheit der eigenen Kultur ausgegangen ist. Gerade im afrikanischen Kontext lag die Zielrichtung von Evangelisation häufig (nicht immer) nicht auf innerer religiöser Veränderung, sondern auf dem Import eines Gesamtpaketes der als überlegen verstandenen westlichen Kultur (Kaplan 1995:10). Das 20. Jahrhundert kannte stark konfrontative evangelistische Ansätze, die weniger dialogisch ausgerichtet waren, dafür aber kulturell unsensibel und stark auf eine reine Proklamation von Glaubenssätzen ausgerichtet gewesen sind (Kraus 1998:40). In selbstkritischer Weise reflektiert dazu auch die Lausanner Verpflichtung über vergangene Methoden der Evangelisation:
„Missionen haben allzu oft mit dem Evangelium eine fremde Kultur exportiert, und Gemeinden waren mitunter mehr an eine Kultur als an die Schrift gebunden.“
Nach der erlangten Eigenständigkeit ehemaliger Kolonialgebiete, gehörte es daher zu einer der unabdingbaren Aufgaben lokaler Kirchen und Christen mittels gesellschaftlicher und Interreligiöser Dialog zu zeigen, dass sie vollwertiger Bestandteil der Gesellschaft sind (Wrogemann 2013:322). Veränderte Machtverhältnisse, aber auch der kulturelle, soziale und gesellschaftliche Kontext, in dem Christinnen und Christen sich bewegen, die ihren Glauben in evangelistischer Weise weitergeben möchten, wirken sich auf die Begegnung mit Menschen anderer Religion und Weltanschauung aus (:322). Diese globalen Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, machten und machen es für evangelistisch orientierte Christen und christliche Gemeinschaften unumgänglich, dialogische Wege der Begegnung zu schaffen. In vielerlei Hinsicht entspricht der neuzeitliche Kontext, in dem christliche Evangelisation häufig stattfindet, eher dem, in welchem sich die frühe Kirche bewegt hat, als dies über den Kontext früherer Jahrhunderte gesagt werden kann. Bis hin zur konstantinischen Wende und vielerorts noch weit darüber hinaus, war es auch für Christen in Europa, ziemlich normal, sich mit seiner christlichen Weltanschauung in einer Minderheitensituation inmitten einer Pluralität verschiedener Denk- und Lebensweisen sowie Religionen zu bewegen. Hempelmann spricht davon, dass durch die Präsenz verschiedener Religionen „eine Lage wiederhergestellt (ist), die den biblischen Gottesglauben vom ersten bis zum letzten Blatt der Bibel bestimmt“ (Hempelmann 2015:449). Die historischen Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte machen deutlich, dass es für Christen, die am aufrichtigen Dialog mit Andersgläubigen- und Denkenden interessiert sind, alternativlos ist, evangelistische Ansätze zu entwickeln, welche die Kultur und Weltanschauung des Gegenübers ernst nehmen.
Evangelisation und Dialog
Um das Verhältnis zwischen Evangelisation und Dialog auf sinnvolle Weise bestimmen zu können, ist es wichtig, sich mit deren Definitionen auseinanderzusetzen und eine Ein- und Abgrenzung beider Begriffe vorzunehmen. Außerdem müssen verschiedene dialogische Modelle betrachtet werden, wenn eine differenzierte Auseinandersetzung vorgenommen werden soll.
Begriffsbestimmungen
Es muss beachtet werden, dass sich angesichts der Homogenität christlicher Kreise und ihren jeweils eignen, sich teils stark voneinander unterscheidenden Verständnissen, von Rolle und Wesen der Evangelisation, keine Definition zur allgemeingültigen erklären lassen kann (Dorsett: 1999:1708). Der Begriff „Evangelisation“ leitet sich ab vom griechischen Verb „εὐαγγελίζεσθαι“ und bezeichnet in seiner breiter gefassten allgemeinen, hellenistischen Bedeutung das Verkünden einer Heilsbotschaft. Im neutestamentlichen Gebrauch findet hier in der Regel eine Verengung des Begriffs, auf die mündliche Weitergabe verschiedener Aspekte der christlichen Heilsbotschaft statt (Hann & Becker 1993:300). Von der frühen Kirche an, über das Mittelalter bis hinein in die Neuzeit gab und gibt es solche evangelistische Bemühungen, die zum Ziel hatte, die Inhalte des Evangeliums an noch Außenstehende weiterzugeben (Dorsett 1999:1701) Der Begriff wurde traditionell mit Aktivitäten verbunden, die auf die Verkündigung des Evangeliums bezogen waren, doch ist dieses Verständnis in der neueren Zeit nicht mehr als Konsens vorauszusetzen (Gensichen 1999:1706). Die Kommission für Weltmission und Evangelisation des Ökumenischen Rates der Kirchen hat im Jahr 2000 in einem Papier (Ökumenischer Rat der Kirchen 2023:Mission und Evangelisation in Einheit heute.) eine terminologische Unterscheidung der beiden Begriffe „Mission“ und „Evangelisation“ vorgenommen. Diese Unterscheidung ist für eine differenzierte Auseinandersetzung hilfreich, da häufig eine Gleichsetzung der beiden Begriffe vorgenommen wird. So hat „Mission“ eine ganzheitliche Bedeutung und schließt neben der Verkündigung des Evangeliums auch Gebet und Gottesdienst, das alltägliche Zeugnis des christlichen Lebens, Lehre, Gemeinschaft mit Gott und einen mit gestalterischen Auftrag an Schöpfung und Gesellschaft mit ein. Dies grenzt sich in gewisser ab von der „Evangelisation“, die diese Punkte nicht ausschließt, aber deren Schwerpunkt liegt auf der:
„ausdrücklichen und absichtsvollen Bezeugung des Evangeliums, darunter die Einladung zur persönlichen Umkehr zu einem neuen Leben in Christus und zur Nachfolge.“
(2023:Mission und Evangelisation in Einheit heute.)
Seinen Ursprung findet der „Dialog“ als eigenständiger Begriff in den philosophischen Streitgesprächen der Sophistik. Dort gehörte der Wille beider Parteien, nach der Befreiung falscher Ansichten und der wahren Erkenntnis- und Wissensvermittlung, zu dessen kennzeichnenden Eigenschaften (Pollmann 1999:815). Während kein Konsens darin besteht, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, um einen Dialog zielführend und fruchtbar zu gestalten, kann festgehalten werden, dass ein Dialog immer dort stattfindet, wo zwei oder mehrere Personen als Gesprächspartner aufeinandertreffen.
Dialogformen
Der Theologe Henrik Wrogemann erkennt in der Verhältnissetzung zwischen missionarischer Verkündigung zum Dialog drei Grundmuster: 1) Eine funktionale Zuordnung von Mission und Dialog, eine 2) Entgegensetzung von Mission und Dialog und 3) eine Identifikation von Mission und Dialog (Wrogemann 2013:327). Im Folgenden möchte ich diese drei Modelle und ihre jeweiligen Implikationen für die Verhältnisbestimmung zwischen Evangelisation und Dialog beschreiben.
Funktionales Modell
In diesem Modell wird der gemeinsame Dialog, als Wegbereiter, Anknüpfungspunkt und gegenseitiges Kennenlernen verstanden, der einer anschließenden missionarische Verkündigung vorausgeht (:327). Missionarische Verkündigung und Dialog werden hier nicht als wesensmäßig widersprüchlich gesehen, wohl aber wird beiden jeweils eine unterschiedliche Rolle zugeordnet (:328). Eine Option dieses Modells ist eine „funktional-prospektive“, die darum bemüht ist, die religiösen Überzeugungen des anderen zu durchdringen und auf dieser Grundlage über die eigenen Glaubensüberzeugungen ins Gespräch zu kommen (:327). Anklänge findet dies laut Wrogemann in der Lausanner Erklärung von 1974, die eine komplementäre Auffassung von Dialog und Evangelisation vertritt und gleichzeitig deutlich macht, dass der gemeinsame Dialog zielgerichtet ist: „Ziel ist es, Menschen zu bewegen, zu ihm (Christus) persönlich zu kommen und so mit Gott versöhnt zu werden.“ (Lausanner Verpflichtung 2000:Wesen der Evangelisation). Derselbe Artikel führt auf, welches Verständnis von Dialog der Lausanner Verpflichtung zugrunde liegt und dabei sogar als unverzichtbar gilt: „eine Form des Dialogs, die durch einfühlsames Hören zum Verstehen des anderen führt.“ (Lausanner Verpflichtung. Wesen der Evangelisation). Angestrebt werden, soll also eine Form des Dialogs, in welchem der christliche Gesprächspartner darum bemüht ist, sich in die Situation, Gefühls- und Gedankenwelt des anderen hineinzuversetzen und einzufühlen. Das bedeutet, dass Evangelisation nicht stur eine eigene Agenda zu verfolgen hat, sondern geprägt sein soll von Rücksichtnahme und Empathie. Dies wird durch den sechsten Artikel unterstrichen, laut dem „Eine Gemeinde (…) zum ernsthaften Hindernis der Evangelisation (wird), wenn sie die Menschen zu wenig liebhat“ (Lausanner Verpflichtung. Gemeinde und Evangelisation). Kritiker sehen in genau diesem Modell einen unauflösbaren Konflikt, da die Ergebnisoffenheit und Aufrichtigkeit, anhand einer solchen missionarischen Zielsetzung nicht mehr gegeben sein könne und das Gespräch durch eine fehlende Uneigennützigkeit belastet wird (Wrogemann 2013:327). Unterschieden werden muss diese Dialogoption allerdings zur „funktional-retrospektiven“, die zwar auch durch Evangelisation, auf die Bekehrung des Adressaten ausgerichtet ist, aber dabei den Dialog an diese anschließt, statt sie der missionarischen Verkündigung voranzustellen (:327). Als Dialog wird hierbei eher ein innerer Dialog eines Konvertiten / einer Konvertitin verstanden, die nach einem Annehmen des christlichen Glaubens in einer Art Dialog mit sich selbst steht, da das eigene Leben nun aus einer anderen Perspektive betrachtet wird (:328).
Oppositionales Modell
In diesem Modell werden Dialog und Evangelisation als Gegensätze gegenübergestellt (Wrogemann 2013:327). Diese Perspektive kann sich äußern, in Aussagen, wie sie in der Einleitung dieser Kursarbeit von dem ÖRK, dem Forum Religionen und Weltverantwortung oder den Autoren Lambrecht und Baars zitiert werden. Wrogemann nennt diese These, die „oppositional-konsensuale Option“ und definiert sie folgendermaßen:
„Jede missionarische Verkündigung stört den Dialog, ist Ausdruck bestenfalls von innerer Unfreiheit, wenn nicht gar von Überheblichkeit oder Besserwisserei. Dialog lässt den Anderen stehen, akzeptiert ihn und versucht von ihm zulernen.“ (:327)
Hinter diesem Ansatz steckt also eine negative Haltung gegenüber Evangelisation, die unterlassen werden sollte um stattdessen ausschließlich Dialoge im genannten Sinn zu führen. In der Auseinandersetzung mit den Wahrheitsansprüchen der jeweils anderen Religion sollen dabei vertiefende Erkenntnisse hinzugewonnen werden (:327). Das oppositionale Modell wird aber auch in christlichen Kreisen vertreten, welche die Gegensätzlichkeit beider Begriffe aus einem deutlich anderen Motiv vertreten. Diese Sicht bezeichnet er als „oppositional-konversive Opotion“. So halten manche Christinnen und Christen, Kirchen und christliche Werke die Meinung inne, dass von einem Dialog mit Nichtchristen abzusehen ist, da es von Sichtweisen, Lehren und Positionen nichts zu lernen gäbe, die sich vom eigenen Verständnis, der biblischen Offenbarung unterscheiden (:328). Mit dieser Betrachtungsweise wird keine ablehnende Haltung gegenüber Gesprächen mit Andersdenkenden- und Glaubenden zum Ausdruck gebracht. Wohl aber eine, die von Überlegenheit der eigenen Position überzeugt ist und nicht davon ausgeht, dass Gesprächspartner mit anderen Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen lehrreiche Erkenntnisse vermitteln könnten.
Identifikatorisches Modell
Das identifikatorische Modell identifiziert den Dialog mit der missionarischen Verkündigung und damit der Evangelisation. Es leugnet dabei nicht grundsätzlich die Gegensätzlichkeit beider Begriffe, beziehungsweise Konzepte, aber erkennt im Dialog eine Form von Mission (:329). Auch hier gibt es wieder unterschiedliche Betrachtungsweisen desselben Modells. Manche verstehen diese Form des Dialogs als „identifikatorisch-argumentative Option“ in welcher „verschiedene theologische Weltdeutungen miteinander um eine möglichst umfassende und überzeugende Deutung der Wirklichkeit ringen“ (:329). Damit kann der Dialog also durchaus dazu führen, dass eine der beiden Parteien, die (Glaubens-) Perspektive des anderen für kohärenter hält und seine religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen verändert. Ziel dieses Ansatzes ist es also, die Wirklichkeit so zu erkennen, wie sie tatsächlich ist. Damit wird implizit die Korrespondenztheorie der Wahrheit vorausgesetzt, die Überzeugungen dann als wahr klassifiziert, wenn sie mit den Tatsachen in der objektiven Realität übereinstimmen (Craig & Moreland 2017:347). Kennzeichnend für diese Dialogform ist also das Streben nach dem Erkennen dessen, wie die Welt wirklich ist. Wenngleich Gesprächspartner dabei möglicherweise mitunter mit einer starken Gewissheit davon ausgehen, mit ihrer theologischen Deutung richtig zu liegen, wird dennoch die eigene Sichtweise nicht als wahr vorausgesetzt, sondern setzt sich den Argumenten des Dialogpartners aus. Innerhalb des identifikatorischen Modells steht dem eine deutlich andere Sichtweise gegenüber, nämlich die „identifikatorisch-expressive Option“, die Mission im Dialog selbst verortet und darum keinen Wechsel der religiösen Überzeugungen des Gesprächspartners im Blick hat, dies sogar als Gefährdung interreligiöser Beziehungen betrachtet (Wrogemann 2013:330). Hier wird, anders als im erstgenannten Ansatz, die Wahrheitsfrage offengehalten, indem religiöse Wahrheit eher als subjektives Erleben verstanden wird, auf das sich der Dialogpartner mit einer innerlich offenen Haltung einlassen sollte, was dabei die Teilnahme an den Riten der anderen Religion einschließen kann (:330).
Wesen und Rahmenbedingungen des Dialogs
Eigener Standpunkt und Empathie
So wie auch andere Konzepte und Überzeugungen hat sich die Botschaft des Evangeliums von jeher der öffentlichen Debatte gestellt (Faix 2011:30). Entscheidend für das Agieren und Mitwirken im öffentlichen Raum, ist dabei letztlich nicht alleine, was man sagt, sondern auch die Art und Weise in der man dies tut (:29). Der Religionsphilosoph Hendrik M. Vroom schreibt über das Wesen und die Rahmenbedingungen eines Dialogs:
Der Dialog ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen über eine Sache. Dialog unterstellt, daß die Gesprächspartner einander respektieren und anerkennen, daß der jeweils andere überlegenswerte Einsichten hat und daß beide Dialogpartner die Absicht haben, den Gegenstand des Gespräches kennenzulernen (Vroom 1999:817).
Vroom stellt den Antrieb, den Gesprächspartner von der Richtigkeit der eigenen Position überzeugen zu wollen und Bereitschaft vom anderen lernen zu wollen, nicht als Gegensätze gegenüber, sondern führt beide gleichermaßen als Ziele des Dialogs auf (:817). Laut dem Theologen C. Norman Kraus, setze echter Dialog die Bereitschaft voraus, sich aufrichtig in den anderen hineinzuversetzen. Das erfordert aber im selben Maß eine klare Selbstidentität beider Parteien, da es überhaupt erst eine Position braucht, in die sich der jeweils Andere hineinversetzen kann (Kraus 1998:45). Ein Dialog sei mehr als Beziehungsgeschehen, denn als Aktivität zu sehen, sodass ein wirklicher Dialog mehr mit der inneren Einstellung gegenüber dem Gesprächspartner zu tun hat, als mit der Gewissheit der eigenen Überzeugungen (:44). So sieht das auch der evangelische Theologe und Missionswissenschaftler Tobias Faix, dessen Überzeugung es ist, dass im selben Maß, in dem sich Menschen sicher in ihrer (weltanschaulichen) Identität sind, diese auch offen sind, anderen Überzeugungen und Weltanschauungen zu begegnen (Faix 2011:28). Kraus hält es gleichzeitig für unangebracht, zu verlangen, dass eine Lernbereitschaft der Dialogpartner zwingend mit deren Veränderung in Verbindung steht, da Menschen ihre (religiösen) Überzeugungen bereits als zufriedenstellend erleben können (Kraus 1998:273). Interessanterweise wird die Erfordernis von gemeinsamem Dialog zum Teil von Vertretern pluralistischer Religionstheorien infrage gestellt, da hier die Wahrheit des Glaubens auf einer subjektiven Ebene verortet und dem argumentativen Aufeinandertreffen verschiedener Positionen, die Grundlage entzogen wird (Vroom 1999:817). Christinnen und Christen, die ihren christlichen Glauben vorleben und weitergeben, weisen damit auf etwas hin, dass über sie selbst hinausgeht und verkünden damit nicht ihre eigene Weisheit (Volf 2011:161). Daraus ergibt sich, dass Evangelisation auf einer Theologie und Haltung der Demut gegründet sein muss, die dem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet. Auch die frühen Leiter der Kirche und die Autoren des Neuen Testaments begegneten der griechischen Sprache und Kultur nicht mit einer Abwehrhaltung, sondern übernahmen viele Begriffe und Konzepte, wo dies mit ihrem christlichen Glauben in Einklang zu bringen war (:161). Die Erkenntnis der Person und des Heilswerkes Jesu Christi schließt nicht aus, auch von Menschen lernen zu können, die aus christlich-exklusivistischer Sicht etwas Entscheidendes nicht erkannt haben. Auf dieser Grundlage der lernenden, offenen Haltung, können Christen nicht aus einer Haltung der Überlegenheit heraus evangelisieren, wenn sie verstanden haben, was treffend zusammengefasst wird in einem weitverbreiteten Zitat, dass manche dem tamilischen Bischof D.T. Niles zuschreiben: „Evangelism is eine beggar telling another beggar where to find bread.“ (Kraus 1998:58). Nach Hempelmann kennzeichnet einen Dialog eine „sachliche, möglichst unvoreingenommene, ergebnisoffene, unbelastete Klärung eines Sachverhaltes“ (Hempelmann 2015:271). Während natürlich nicht auszuschließen ist, dass Christinnen und Christen, diese Dialogvoraussetzungen im Rahmen ihrer evangelistischen Tätigkeiten nicht immer gerecht werden, erschließt sich nicht, weshalb dies notwendigerweise der Fall sein sollte. Voraussetzung eines Dialogs ist es ja, dass verschiedene Standpunkte aufeinandertreffen und ins Gespräch kommen (:271).
Wahrheitsanspruch als Voraussetzung
Welche Auswirkungen hat ein exklusivistisches Heils- und Glaubensverständnis, wie es etwa in der Lausanner Erklärung entfaltet wird? Die Relevanz der Bekenntnisschrift zur Klärung der untersuchten Fragestellung dieser Kursarbeit ist dabei offenkundig. Sie gilt nicht nur als evangelistische Standortbestimmung der weltweiten evangelikalen Bewegung, sondern sollte aktive Prozesse im Denken und Handeln anstoßen (Reifler 2009:118). Das evangelistische Verständnis der Bekenntnisschrift steht repräsentativ für weite Teile der evangelikalen Welt, die in ihren 15 Artikeln unter anderem eine Reihe von Glaubensüberzeugungen aufführt, die sich nur schwerlich mit wahrheitspluralistisch-religiösen Ansätzen verbinden lassen. So fallen darunter Punkte wie die „die Einzigartigkeit und Universialität Jesu Christi, die ewige Verlorenheit der Menschen ohne Jesus Christus“ und „Gottes Plan zur Rettung einer verlorenen Menschheit“ (:118) und damit genau jene Überzeugungen, die laut Lambrecht ein Ausdruck von Abwertung und fehlender Akzeptanz des anderen sind und letztlich einem Dialog im Wege stehen (Lambrecht & Baars 2009) Die Lausanner Verpflichtung spricht sich gegen Dialoge aus, in denen Jesu Selbstoffenbarung auch auf andere Religionen ausgeweitet wird. So verneint sie ausdrücklich eine Vermischung verschiedener Glaubenssätze und die Annahme, dass Jesus Christus sich auch außerhalb des Christentums und der Evangeliums-Botschaft gleichermaßen in anderen Glaubensrichtungen und Ideologien mitteilt:
„Als Herabsetzung Jesu Christi und des Evangeliums lehnen wir jeglichen Synkretismus ab und jeden Dialog, der vorgibt, daß Jesus Christus gleichermaßen durch alle Religionen und Ideologien spricht.„
(Lausanner Verpflichtung 2000:Einzigartigkeit und Universalität Jesu Christi)
Hier werden gemeinsame Dialoge mit Andersdenkenden- und Glaubenden nicht negativ behaftet oder grundsätzlich abgelehnt. Doch wird darauf bestanden, den exklusiven Anspruch der eigenen (christlichen) Offenbarungsreligion, im Rahmen eines gemeinsamen Dialogs benennen zu können. Indirekt findet dabei eine Kritik an beiden Dialogpartnern statt: Sowohl dem, der den eigenen christlichen Standpunkt nicht absolut setzt, als auch dem, der genau dies vom christlichen Gegenüber einfordert. Kritisiert wird also nicht, dass der Gesprächspartner eine andere Glaubensauffassung hat, sondern wo dieser fordert, den eigenen christozentrischen Standpunkt nicht absolut sehen zu dürfen. Die Überzeugung, dass die eigene Position wahr ist, ist für den evangelischen Theologen und Philosophen Heinzpeter Hempelmann die Basis für einen Dialog, auf dem dieser erst einen Sinn entfaltet. Letztlich setze ein Dialog voraus, dass unterschiedliche Standpunkte aufeinandertreffen, da nur dann überhaupt eine Notwendigkeit zu diesem besteht (Hempelmann 2015:273). Er führt überdies an, dass auch ein Konsens-theoretisches Wahrheitsmodell, letztlich die eigene individuelle Vorstellung von Offenheit, Voraussetzungslosigkeit und Toleranz absolut setzt und damit eine Standpunkt einnimmt, der als Grundlage vorausgesetzt wird (:365). Im selben Moment, wo also Wahrheits- und Geltungsansprüche abgelehnt werden, werden hier nach Hempelmann seitens Vertretern eines postmodernen Wahrheitsverständnisses, also selbst ebensolche getroffen. Dort wo im Bereich des Interreligiöser Dialogs eine letzte Einheit der Religionen vorausgesetzt wird, wird diese Überzeugung zum normativen Maßstab, dem sich exklusivistische Glaubensauffassungen zu beugen haben (:374). Damit wird ein Rahmen geschaffen, der manche religiöse Geltungsansprüche, von vornherein ausschließt. Nach Hempelmann schließt ein „missionarischer“ Wahrheitsanspruch einen Dialog nicht aus, sondern ist ganz im Gegenteil sogar eine erforderliche Voraussetzung für diesen (Hempelmann 2015:378). Dies begründet er damit, dass ein solcher Wahrheitsanspruch, die differente Position des anderen anerkennt und damit diesen nicht unter einen Zwang stellt zu einem Meinungskonsens, der faktisch nicht bestehe (:378).
Fazit
In der Auseinandersetzung mit der Kritik an Evangelisation und deren scheinbarer Inkompatibilität mit ergebnisoffenen und fruchtbaren Dialogen, gilt es zuallererst einmal zu klären, von welchen Prämissen dabei ausgegangen wird. Im Falle der sogenannten oppositional-konversiven Option trifft dies sicherlich zu. Dort wo, die Überzeugungen des Gesprächspartners in ihrer Gänze als „Sünde, Aberglaube oder Irrlehre“ (Wrogemann 2013:328) abgetan werden, kann schwerlich von einem Dialog die Rede sein. Wenn angesichts dieser Sichtweise eine Dialogunfähigkeit attestiert wird, ist dies zutreffend. Das wird allerdings kaum auf Widerspruch stoßen, da dies auch dem Selbstverständnis jener Personen und Institutionen, welche diese Sicht innehalten entspricht, die selbst einen Dialog ablehnen und in Glaubensgesprächen ausschließlich auf eine missionarische Verkündigung abzielen (:328). Für unzulässig halte ich den Vorwurf, wie er etwa von Lambrecht und Baars erhoben wird, dass die Annahme, der eigene Glaube sei für alle Menschen wahr und gut, zwingend zu Problemen in der Gesellschaft führen würde (siehe Einleitung). Ebenso wenig schließe ich mich der oppositional-konsensualen These an, die missionarische Verkündigung als mit Rechthaberei und Arroganz in Verbindung bringt. Aus dem Wunsch alleine, mit einer zielgerichteten Ausrichtung in ein Glaubensgespräch zu gehen, ergibt sich nicht zwingend eine Haltung der Erhabenheit, die den Gesprächspartner abwertet, oder dessen Ansichten von vornherein als falsch einordnet. Es ist möglich, sich sowohl seiner eigenen Glaubensposition sicher zu sein und andere von dieser überzeugen zu wollen und dabei gleichzeitig offen dafür sein, falsch liegen zu können. Hilfreich kann hier auch der Vergleich mit nicht religiösen Überzeugungen sein. Nicht nur in Bezug auf Glaubensfragen, tragen Menschen weltanschauliche Überzeugungen in sich, die sie zielgerichtet mit anderen teilen wollen. Auch Klimaaktivisten, Tierschützer oder Politiker, um nur einige Personengruppen zu nennen, halten ihre Überzeugungen für wahr und tragen diese in den gesellschaftlichen Diskurs hinein, ohne dass sich daraus zwingend Probleme für das gesellschaftliche Zusammenleben ergeben. Ein Widerspruch zwischen einer exklusivistischen Überzeugung einerseits und einer aufrichtigen und wertschätzenden Auseinandersetzung mit den Denkweisen und religiösen Überzeugungen des Anderen, andererseits, drängt sich mir nicht auf. Vielmehr erschließt sich hier meiner Ansicht nach das identifikatorisch-argumentative Modell als wirklich zielführende Form des Dialogs. Die Dialogpartner gehen hier mit einem eigenen, vorher reflektierten Standpunkt in das gemeinsame Gespräch, tun dies aber im besten Fall mit der inneren Offenheit falsch liegen und vom Gegenteil überzeugt werden zu können. Aus der Forderung, dass nicht auf eigenen Wahrheitskriterien gepocht werden sollte, da sonst ein echter Dialog von vornherein nicht möglich sei, ergibt sich die Rückfrage, inwieweit ein tatsächlicher Dialog überhaupt stattfinden kann, wenn der Wahrheitsanspruch der jeweiligen Weltanschauung und Religion des Gegenübers nicht ernst genommen wird. Stellt sich ein Gesprächspartner in einer Metaebene über den exklusiven Selbstanspruch einer Weltanschauung oder Religion (wo sie einen solchen aufstellt), spricht er einer Weise über diese, wie sie selbst nicht verstanden werden will. Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Dialogpartner wird gerade dadurch gezeigt, dass man den Selbstanspruch seiner Weltanschauung anerkennt, statt diesen zu relativieren. Nur dann kann ein Dialog stattfinden, in welchem der andere sich gesehen und verstanden fühlt. In umgekehrter Weise gilt dies auch dort, wo das Gegenüber eine Position vertritt, die davon ausgeht, dass Gott in verschiedenen Erscheinungsformen erkannt wird und Religionen (inklusive der eigenen) immer nur einen Teil seiner Wirklichkeit zeigen. Werden diese Denkvoraussetzungen von Vertretern eines christlichen Exklusivismus als Gesprächsgrundlage akzeptiert, bedeutet dies eine Preisgabe der eigenen Überzeugungen, die letztlich einem wirklichen Dialog im Wege stehen. Letztlich zeigt sich aber auch genau darin, dass niemand ohne Denkvoraussetzungen in einen Dialog geht. Auch jene nicht, die als Grundlage für einen fruchtbaren interreligiösen Dialogs, die Aufgabe der eigenen Glaubensüberzeugungen als Denkvoraussetzung, betrachten, wie etwa der Kreis von Theologinnen und Theologen, vom Forum Religionen und Weltverantwortung, der eine Erklärung zum Thema Mission in Christentum und Islam herausgegeben hat. Damit setzen sie selbst ja ihre eigene pluralistische Sicht geradezu universalistisch voraus und bestimmen damit selbst einen Maßstab, anhand dessen bestimmt wird, welcher Gesprächspartner am Dialog teilhaben darf und welcher nicht. Ausgegrenzt vom gemeinsamen Gespräch, werden hiermit ironischerweise genau jenen, deren Sicht als problematisch verstanden wird, von genau jenen, die sich scheinbar für eine offene theologische Auseinandersetzung einsetzen. Aus biblisch-theologischer Sicht ist es meines Erachtens, keine denkbare Option, missionarische Verkündigung zu unterlassen. Wie in 2. angeführt, erkennt selbst Oda Lamprecht, die sich kritisch über die Missionstätigkeiten und das Glaubensverständnis Evangelikaler äußert, an, dass diese im Sinne des biblischen Missionsbefehls in Mt 28,19-20 handeln. Da laut Lamprecht, im Zentrum ihrer Kritik, an „den“ Evangelikalen steht, dass deren Missionsverständnis beinhaltet, auch alle andere Menschen zu ihrem Glauben führen zu wollen, fordern sie von missionarisch orientierten Christen im Grunde nichts anderes, als die Kompromittierung des biblischen Missionsauftrages selbst. Angesichts der betrachteten biblisch-theologischen Rahmenbedingungen der Evangelisation, komme ich, anders als vom Forum Religionen und Weltverantwortung postuliert, nicht zu dem Schluss, dass ein exklusivistisches Verständnis des Evangeliums, gemeinsame Dialoge nicht über theologische Diskussionen hinausgehen lasse (siehe Einleitung). Zum einen belegen die in der Apostelgeschichte angeführten Diskussionen des Apostels Paulus, dass an theologischen Diskussionen aus missiologischer Sicht tatsächlich nicht per se etwas auszusetzen ist. Gleichzeitig findet sich in seiner Areogaprede meines Erachtens, ein biblisches Beispiel für Evangelisation, in der einerseits ein exklusivistischer Anspruch der evangelistischen Botschaft vorhanden und gleichzeitig Empathie und Wertschätzung gegenüber den Hörern ausgedrückt wird. Es kann gefolgert werden, dass Evangelisation und Dialog sich nicht grundsätzlich gegenseitig ausschließen, sich aber abhängig vom eigenen Verständnis dessen, was unter Evangelisation zu verstehen ist, die Qualität und der Verlauf eines Dialogs stark voneinander unterscheiden können.
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