Enthält der Quran tatsächlich wissenschaftliche Wunder?
Achim Schnell
veröffentlicht am 4.12.2023
Fragt man Muslime, warum sie denn glauben, dass der Koran göttlichen Ursprungs ist, hört man häufig die Behauptung, er enthalte wissenschaftliche Wunder. Sie meinen damit, dass der Koran die Welt in einer genauen Art beschreibt, die es zur Zeit der Entstehung des Korans nicht hätte geben können, aber vom heutigen Stand der Forschung bestätigt würden.
Da der Koran nach islamischem Verständnis – im Gegensatz zum christlichen - 100% göttlich und 0% menschlich ist, darf er sich in der Beschreibung der Welt und der Schöpfung auch in keinem Fall irren, denn das widerspräche dem göttlichen Ursprung des Buches. Da laut Muslimen diese Wunder und Zeichen der Beweis für die Göttlichkeit des Korans par excellence sind, wäre mit ihrer Widerlegung ihr stärkstes Argument für den Glauben hinfällig. Denn dann gäbe es kaum noch einen Grund, dass das Buch nicht eben doch wie viele andere einfach rein menschlich ist.
Nehmen wir doch einige der häufigsten angeblichen Wunder unter die Lupe:
Das wohl beliebteste angebliche Wunder betrifft die Entwicklung des menschlichen Embryos im Mutterleib. Der Koran beschreibt die Entstehung eines Menschen als einen Samentropfen, der zu einem Anhängsel und dann zu einem Klumpen wird. Daraus würden dann die Knochen geformt, die dann mit Fleisch ummantelt werden würden (Sure 23:13-14). Dies entspräche in hervorragender Weise der Erkenntnisse der modernen Humanmedizin. Bei genauerer Recherche allerdings stellt sich heraus, dass diese vier Phasen ziemlich genau den Annahmen antiker Philosophen und Ärzten wie Hippokrates und Galen entsprechen, die bereits lange vor der Zeit Mohammeds zu diesem Thema Theorien aufstellten. Diese Ansichten wurden wohl von den Koranautoren direkt übernommen. Zieht man zur genaueren Untersuchung noch die Hadithe hinzu (also die Überlieferung der Aussprüche Mohammeds), bekommt man zu der koranischen Beschreibung noch Zeitangaben der angeblichen Entwicklungsstufen (Sahih Muslim 2645a; Sahih Jami` at-Tirmidhi 2137). Vergleicht man diese mit den heutigen Erkenntnissen der Entwicklungsbiologie, findet man deutliche Differenzen: während der Samen 42 Tage im Mutterleib verbleiben soll, kann in Wirklichkeit eine Spermazelle nur maximal 5 Tage überleben. Auch während der nächsten Phasen, die ebenfalls je 40 Tage dauern sollen, sind Embryos bzw. Föten viel ausdifferenzierter als eine Beschreibung als Anhängsel oder Klumpen. Ebenfalls entsteht die Festlegung des Geschlechts bereits bei der Befruchtung der Eizelle (die zudem im Koran nie erwähnt wird, was auch der antiken Vorstellung entspricht) und nicht wie im islamischen Glauben in einer späteren Phase. Auch dass die Knochen vor dem Fleisch gebildet würden – sozusagen als Skelett im Mutterleib, entspricht nicht dem heutigen Wissensstand, sondern Galens Ansatz. Die koranische Beschreibung ist also weder modernen Erkenntnissen entsprechend und noch ist sie genau. Sie spiegeln eher das wieder, was antike Menschen mit Augenschein wahrnahmen, wenn sie Fehlgeburten untersuchten, da sie sonst keine Mikroskope oder bildgebende Verfahren zur Verfügung hatten: eben als Anhängsel und Blutklumpen.
Ein weiteres angebliches beliebtes Wunder betrifft interessanterweise den Ursprung des Universums. So beschreibe der Koran den Urknall und die Ausdehnung des Universums in Sure 21:30. Himmel und Erde seien eine Einheit gewesen, die Allah dann geteilt habe. Aber auch dies ist eine relativ ungenaue Beschreibung und spiegelt eher die biblische Beschreibung wieder, nach der der Himmel von der Erde getrennt wurden (vgl. Gen 1:6-7) sowie anderen antiken Vorstellungen. Zudem entstand laut der Urknalltheorie Materie erst zu einem viel späterem Zeitpunkt. Von einer Einheit kann hier also keine Rede sein. Des Weiteren würde der Koran aussagen, dass sich das Universum kontinuierlich ausbreitet (Sure 51:47), was erst seit kurzer Zeit wissenschaftlich festgestellt wurde (die sog. Hubble-Konstante). Bei genauer Betrachtung geht es hier aber nicht um das Universum, sondern eben nur um den Himmel. Und dieser wird nach antiker Vorstellung eben wie eine Zeltplane ausgebreitet. Also auch hier kein bahnbrechendes Zeichen, sondern eine altertümliche Vorstellung über die Beschaffenheit des Himmelszelts. Die Beschreibung wäre zudem auch hier sehr ungenau für eine wissenschaftliche Aussage.
Eine weitere Behauptung von islamischen Apologeten ist, dass der Koran Eisen als vom Himmel „herabgesandt“ bezeichnet (Sure 57:25), was auch der modernen Wissenschaft entspreche. Das Eisen der Erde stammt nämlich – zumindest in seinem Oberflächenbereich – von Meteoriten, welche auf die Erde einschlugen. Tatsächlich aber ist diese Tatsache den Menschen bereits lange vorher bekannt gewesen. Im Altägyptischen gab es für dieses Meteoriteneisen schon vor vielen Jahrtausenden sogar ein eigenes Wort („Himmelseisen“).
Eine ganze Gattung von angeblichen Koranwundern sind die sogenannten Zählwunder: Beispielsweise spiegle die Anzahl der Wörter für Meer und Land im Koran das tatsächliche Verhältnis von Land und Wasser auf der Erde wieder. Oder der Koran benutze das Wort „Tag“ exakt 365 Mal. Tatsächlich kommen solche „Wunder“ zustande, indem man eine dehnbare Definition verwendet, was als Kandidat für das entsprechende Wort verwendet wird und was nicht, und am Ende keine Rechenschaft darüber gibt, was jeweils als Kriterium für das Mitzählen gegolten hat. So werden nicht konsequent immer alle grammatikalischen Formen (Singular, Dual, Plural etc.) oder Synonyme in gleicher Weise gezählt. Dadurch werden die entsprechenden Zahlen für das gewünschte Ergebnis hingebogen. Das sogenannte Wunder löst sich also in Luft auf. Zudem müssen sich schon rein statistisch durch Zufallsverteilungen Besonderheiten in Zahlen und Wortpositionen ergeben. Auch dies ist bei genauerer Betrachtung nicht überzeugend.
Auch für viele andere mutmaßliche Wunder gilt, dass sie entweder sehr ungenau sind, von einer sehr flexiblen, wohlwollenden Art der Übersetzung des Arabischen stammen oder eben in der antiken Welt bereits vor dem Islam bekannt gewesen waren. Enthielte der Koran tatsächlich wissenschaftliche Wunder, hätte man diese Forschungserkenntnisse ja direkt voraussagen können. Da sie aber immer erst im Nachhinein in den Koran hineingelesen werden, sind sie eben doch nur Irreführungen. Zudem: wenn Allah solche Zeichen in seinem Buch eingearbeitet hätte, Jahrhunderten des Islam keinen Beweis für die Wahrheit des Islam gegeben. Wollte der Koran wirklich mit Wundern überzeugen, hätten viel offensichtlichere Zeichen verwendet werden können, wie die Erwähnung der menschlichen DNA oder dass die Erde um die Sonne kreist. Da die entsprechenden Stellen eben sehr dunkel und unspezifisch sind und sich bei genauer Untersuchung als der damaligen Zeit entsprechend entpuppen, lässt sich festhalten: Die angeblichen Wunder im Koran sind nicht vorhanden. Sie können nicht als Anhaltspunkte für eine göttliche Autorenschaft den Korans herangezogen werden.
Quellen:
Michael Marx, Galen De Semine I, 8 - TUK_986. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx, mit Beiträgen von Sebastian Bitsch, Vasiliki Chamourgiotaki, Emmanouela Grypeou, Dirk Hartwig, Nestor Kavvadas, David Kiltz, Yousef Kouriyhe, Mohammed Maraqten, Adrian Pirtea, Veronika Roth, Johanna Schubert und Nicolai Sinai. Betaversion: Stand 4.11.2023.
Otto Johannsen: Geschichte des Eisens. 3. Auflage. Stahleisen, Düsseldorf 1953.