Ein Problem der klassischen Apologetik

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Dave Krohn
veröffentlicht am 26.6.2025

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Die gute alte Trias

Schon die alten Griechen kannten drei Größen in unserer Welt, die es Wert sind, untersucht zu werden: Das Gute, das Wahre und das Schöne. Alle drei Dinge finden wir im Wesen Gottes verankert, alle drei Dinge gehören zur tiefsten menschlichen Sehnsucht. Aber: Nicht jeder Mensch hat den identischen Zugang zu all diesen drei Dingen.
Die Apologetik beschäftigt sich klassischerweise mit der Wahrheit. Ist es wahr, dass Gott existiert? Ist es wahr, dass Jesus von den Toten auferstanden ist? Ist die Bibel wahr?
Die Frage nach Wahrheit ist wichtig und bildet eine Grundsäule des christlichen Glaubens. Aber - es ist nicht die Frage des Glaubens, die am zugänglichsten ist. 

Peter Kreet bemerkt in seinem Kapitel Lewis' Philosophy of Truth, Goodness and Beauty folgendes:

Die Ordnung dieser drei Transzendentalen aus Wahrem, Gutem und Schönem ist ontologisch begründet.1

Dabei gilt laut Kreet folgendes: Wahrheit entsteht aus Ontologie, Gutes aus Wahrem und Schönes aus dem Guten. Es braucht aus einer philosophischen Sicht also die Reihenfolge:

Ontologie → Wahrheit → Gutes → Schönes

Genau diese Richtung verfolgt die klassische Apologetik aus den 90ern: Man präsentiert Fakten, überzeugt das Gegenüber mit diesen Fakten, und am Ende wird klar, dass das Ergebnis auch noch gut und schön ist. 

ABER

Für die Praxis ist diese Reihenfolge tatsächlich nicht hilfreich. 

Der Mensch ist zuerst psychologisch, dann rational

Kreet legt neben der philosophischen Ordnung jedoch eine weitere dar:

Die psychologische Reihenfolge jedoch ist die Umkehrung der ontologischen Reihenfolge. So erkennen wir das Seiende als erstes durch seine Erscheinung, also werden wir vom Guten zunächst durch seine Schönheit angezogen, und vom Seienden werden wir durch seine Wahrheit angezogen. Ontologisch beruht jedoch Wahrheit auf Sein, Gutes auf Wahrheit und Schönheit auf dem Guten. Wahrheit ist, das Seiende zu kennen. Gutes ist das wahre Gute. Und die schönste Sache der Welt ist das vollkommen Gute.2

Um es nochmal deutlich zu machen: Kreet sagt, dass der Mensch leider genau in der verkehrten Richtung zur ontologischen Ordnung denkt:

Schönes → Gutes → Wahres → Seiendes

Was bedeutet das für den Alltag? Kaum ein Mensch steht am Abend an seinem Küchenfenster, starrt in die verregnete Gasse, in der er wohnt, nimmt den Geruch von Abgasen und das Brüllen einer angetrunkenen Teenagermeute wahr und denkt dabei: 
Ist Jesus Christus wirklich von den Toten auferstanden? 
Warum tut das kaum jemand, obwohl es eine der fundamentalsten Fragen des Universums ist? Weil es keinen psychologischen Kontext für diese Frage gibt. Die meisten Menschen wissen weder etwas von der Schönheit des Evangeliums, noch von der Güte Gottes, noch von der Wahrheit Jesu Christi. Was sich aber manche Menschen in solchen Küchenfensterszenerien fragen ist: 
Wie werde ich glücklich?
Was ist meine Aufgabe in diesem Leben?
Bin ich wirklich wertvoll?

Die psychologische Reihenfolge der philosophischen Trias ist deswegen so entscheidend, weil sie die menschliche Natur der Wahrheitssuche erklärt: Unsere fleischliche, menschliche Natur wählt ohne Disziplinierung und wirksame Teleologie immer das schnelle Vergnügen. Gibt es jedoch ein Ziel und den Willen, den eigenen Schweinehund zu überwinden, fangen Menschen an dem Appetit nach Süßigkeiten zu strotzen, Instagram zu schließen und das Rauchen aufzugeben. Warum? Weil sie dahinter einen Grund sehen! Genauso ist es mit dem Evangelium: Wer keinen Grund hat, dem Evangelium zu glauben, der wird es nicht wählen. Damit ist es recht simpel: Wir müssen den Menschen einen Grund geben, an das Evangelium zu glauben. Die Frage lautet, ob ein Wahrheitsanspruch Grund genug ist…

Anbiedern oder anbieten?

Heißt das, wir müssen die Attraktivität des Christentums steigern? Nein, jedenfalls nicht wenn das heißt, attraktionell zu werden. C.S. Lewis wurde einmal gefragt, ob das Christentum die glücklichmachendste Religion ist. Er antwortete:

Welche der Religion in der Welt gibt seinen Anhängern das größte Glück? Solange es anhält ist die Religion der Selbstanbetung die beste. […] Wenn Sie eine Religion wollen, mit der Sie sich wirklich wohl fühlen, dann empfehle ich mit Sicherheit nicht das Christentum. 3

Vor kurzem sprach ich mit einer jungen Frau über den Sinn des Lebens. Sie war beeindruckt von dem philosophischen Wissen, das ich an den Tag legte. Als ich aber darauf zu sprechen kam, warum sie dann das Christentum nicht als valide Option betrachte, endete das Gespräch relativ schnell damit, dass sie zufrieden abwinkte: Sie habe bereits alles, was sie braucht. Sie war beeindruckt von Wissen, aber sie sah keine notwendige Verknüpfung zwischen diesen Fakten und ihrer eigenen Geschichte. Dieses Phänomen geht tief: Wer nur im Kopf bewegt wird, der wird nicht als ganzer Mensch bewegt. Wie Peter S. Williams es mir vor kurzem rhetorisch klug darlegte: Es geht um head, heart and hands. 

Es ist offensichtlich, dass wir anderen Menschen zugestehen müssen, glücklich zu sein, auch wenn sie keine Christen sind. Die psychologische Reihenfolge der Trias zielt in Bezug auf das Evangelium nicht darauf ab, das zu verneinen. Doch solange überhaupt keine Schönheit und überhaupt nichts Gutes im Evangelium sichtbar ist, wird niemand danach fragen. Wir müssen dem Evangelium dabei keine Schönheit zuschreiben, die es nicht hat - das führt schnell zu sehr schlechter betrügerischer Theologie - aber wir müssen eben genau die Schönheit des Evangeliums von Jesus Christus darstellen, die ihm innewohnt. Damit wird der apologetische Job schwieriger: Anstatt lediglich Fakten auf den Tisch zu legen müssen wir “Geschichtenerzähler” werden, ganz im Sinne von Jesus Christus selbst, was bedeutet: Wir müssen eine gemeinsame Kontextualisierung der Schönheit, des Guten und das Wahren im Evangelium von Christus anbieten. Apologetik bildet dabei nicht nur den Job, die Wahrheit darzustellen, sondern genau diese kohärente Kontextualisierung zu leisten. Das ist tatsächlich unglaublich schwer! Denn es bedeutet, dem Menschen an Angebot zu machen, das ihn vollkommen einnimmt und damit auch vollkommen relevant ist. Apologetik bildet hier einen Kontrast zu Evangelisation: Anstatt nur etwas zu erzählen, zu verkündigen, zu beschreiben, muss die Apologetik etwas erklären. Es genügt eben in der Apologetik nicht, die Wahrheit des Evangeliums zu sagen - sie muss im Kontrast zu anderen Wahrheitsansprüchen als plausibler dargestellt werden. Es genügt in der Apologetik eben nicht, die guten Seiten des Evangeliums darzustellen - es muss deutlich werden, dass die Botschaft Jesu Christi tatsächlich besser ist als die anderen Heilsansprüche. Und es genügt in der Apologetik nicht, rührselige Geschichten zu erzählen - sondern die Schönheit des Evangeliums muss am Evangelium selbst, ganz ohne meine Person, sichtbar werden. 

Was also braucht es in der Apologetik?

Nehmen wir noch einmal diese beiden Blicke auf die philosophische Trias:

Das Wahre → Das Gute → Das Schöne
Das Schöne → Das Gute → Das Wahre

So sehen wir: Es braucht das Fundament der Wahrheit, egal in welcher Perspektive man sich befindet. So oder so muss ich irgendwann darlegen, warum es tatsächlich einen begründeten Wahrheitsanspruch im Evangelium gibt. Das ist womöglich eine Primäraufgabe der Apologetik, und die klassische Apologetik aus den 90ern hat das verfolgt. Wer die Apologetik als völlig unnütz ansieht bleibt oft bei einer subjektiven Darstellung der Schönheit in der eigenen Biografie stecken: Ich habe Jesus erlebt, ergo muss es wahr sein. Das genügt nicht, da es auf der Ebene des Schönen stehenbleibt. Apologetik leistet schon immer einen Unterbau für ein objektiveres, dogmatischeres Christentum, was wichtig ist. Vielleicht ist jetzt aber die Zeit, dass die Disziplin der Apologetik die philosophische Ergänzung findet: Nämlich die Fähigkeit, einen Kontext für die Wahrheit zu geben. 

Wenn du apologetisch interessiert bist, aber merkst, dass du irgendwie trotz all deines Wissens niemals Bekehrungen oder wenigstens ehrlich menschliche, tiefe, zielgerichtete Gespräche erlebst, dann liegt es vielleicht nicht an mangelndem Wissen, sondern an mangelnder Vervollständigung. Die Apologetik der frühen Kirche war erstaunlich diplomatisch, rhetorisch, künstlerisch, philosophisch und poetisch. Wir müssen Apologetik wieder in dem Licht betrachten, in dem sie ganzheitlich sichtbar wird: Die Kunst, eine Antwort zu geben auf die Frage nach unserer Hoffnung. Die Kunst der Apologetik ist nicht das Einverleiben von Wissen, das ist relativ einfach und bequem. Die Kunst der Apologetik ist, eine tatsächliche Antwort auf eine tatsächliche Frage zu geben, als echter Mensch an einen echten Menschen. Und diese Antwort muss den Menschen in seiner ganzen Suche ernst nehmen - die Suche nach dem Wahren, dem Schönen und dem Guten. 

Literaturverzeichnis

1 Kreet, Peter:  Lewi's Philosophy of Truth, Goodness and Beauty in C.S. Lewis as Philosopher: Truth, Goodness and Beauty. 3. Edition 2024. S. 24. 
2 Ebd.
3 C.S. Lewis: Answers to questions on christianity in God in the Dock. 1970. S. 48.