Alttestamentliche Voraussagen über Jesus
Achim Schnell
veröffentlicht am 4.10.2024
„Christlicher Glaube“ – schon der Name besagt, was das Christentum in der Quintessenz ist: die Aussage, dass Jesus von Nazareth, der „Christus“, also der Messias, der im Alten Testament versprochene Retter ist. Im Prinzip ist das Christentum also eine jüdische Sekte, die behauptet, dass die Voraussagen der jüdischen Bibel sich in der historischen Person Jesus von Nazareth erfüllt hat. Dabei ist die Grundaussage, dass dieser von seinem eigenen Volk abgelehnt wurde, für die Sünden starb und auferstand – und das alles gemäß der Prophezeiungen des Volkes Israel. Die Erfüllung der Voraussagen war demnach ein Grund für die Verkündigung dieser Botschaft. Und genau dies ist auch einer der Gründe, womit man die Wahrhaftigkeit des christlichen Glaubens begründen und verifizieren kann: Die Erfüllung der Schrift hätte nicht durch Zufall oder Täuschung hervorgebracht werden können. Im Folgenden soll auf einen Ausschnitt dieser umfassenden Prophezeiungen eingegangen werden:
Gottesknechtslieder und Sacharja
Eines der markantesten und direktesten Prophezeiungen sind die sogenannten Gottesknechtslieder des Propheten Jesaja, der 700 Jahre vor der Zeit des Neuen Testaments lebte. Diese sind Textabschnitte, die eine geheimnisvolle Person beschreiben, die zum einen ein „Licht“ für alle Völker sein wird und das „Heil“ in die ganze Welt bringt (Jes 49:1-6), zum anderen aber auch ein milder und sanftmütiger Herrscher sein wird (Jes 42:1-9). Verse, die man durchaus auch darin erfüllt sehen kann, dass Jesus nun in aller Welt bekannt ist und im Unbekannten, ohne militärisch-politische Macht herrscht. Am interessantesten sind allerdings das dritte und vierte Gottesknechtslied: Hier begegnet uns wieder diese Figur, die willig Schläge und Spott durch andere annimmt, aber dennoch nicht scheitern wird (Jes 50:4-9). Im vierten Lied (Jes 52:13-53:12) zeichnet sich noch viel plastischer dieser leidende Held ab: ein Mensch, der letztendlich „erhöht“ und „erhaben“ sein wird und auch Könige und andere Völker ins „staunen“ versetzen wird, allerdings davor durch Leid „entstellt“ sein wird und vom Volk abgelehnt und „für nichts“ geachtet wird, weil er als der „Allerverachtetste“ voller „Schmerzen und Krankheit“ sein wird. Im weiteren Verlauf erfahren wir dann aber – aus Sicht derjenigen, die ihn ablehnten – dass in Wirklichkeit er für seine Verächter die Schmerzen und die Strafe für die Sünde trägt – und dass er dieses Leid ohne Widerwillen und Widerrede annimmt. So erfährt man, wie er letztendlich stirbt und begraben wird. Doch der Text endet nicht bei diesem seinem Schicksal: Er wird wieder das „Licht sehen“ und „lange leben“. Somit wird er letztlich als Auferstandener siegreich hervorgehen, weil er „die Sünden der Vielen“ getragen hat. Passender kann eine Beschreibung der Geschehnisse in den Passionsberichten der Evangelien nicht sein – und das Jahrhunderte vorher unabhängig durch den Mund eines Propheten. Auch die jüdische Auslegungstradition vor und zur Zeit Jesu deutete diesen Textabschnitt auf den erwarteten Messias.
Auch aus dem Mund eines späteren Propheten hören wir die Beschreibung eines geheimnisvollen, leidenden Mannes Gottes: So spricht Gott durch den Propheten Sacharja: „Und sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben, und sie werden um ihn klagen, wie man klagt um das einzige Kind, und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübt um den Erstgeborenen“ (Sach 12:10). An anderer Stelle erfahren wir, dass das „Schwert“ den „Hirten“ treffen soll, den „Mann“, der Gott „am nächsten steht“ (Sach 13:7). Auch dies sind Passagen, die die Kernaussagen des Christentums bestätigen.
Typologien
Doch neben diesen Textabschnitten der Propheten finden wir viele weitere Hinweise und Voraussagen über den Messias, die sich in Jesus erfüllt haben sollen. Wichtig dazu ist zu verstehen, wie diese Texte als Prophezeiungen funktionieren. Sie sind meist nicht direkte Aussagen zu verstehen, im Sinne von Prosa oder Klartext, wo wir dann lesen könnten: „Der Messias wird folgendermaßen sein oder handeln“ usw. Vielmehr sind es sogenannte Typologien, also Vorschattungen von Jesus und seinem Wirken im Alten Testament (vgl. Kol 2:17 und Heb 10:1). Die Idee dahinter ist, dass eine Figur einen Schatten wirft, durch den man zwar nicht das genaue Aussehen der Figur, wohl aber seine Form und Umrisse erkennen kann. Demnach finden wir in den Erzählungen der Bibel Grundprinzipien und Ähnlichkeiten, die alle auf Jesus schemenhaft hinweisen und sein Kommen vorausahnen ließen.
Auf diese Weise erkennen wir Jesus in den Grundzügen der Narrative des Alten Testaments: Beispielsweise rettet Gott sein Volk, wenn es in Not gerät, immer wieder durch die Hand einer Einzelperson, wie Noah oder Mose. Am Ende ist es die Einzelperson Jesus, die universell das Volk Gottes von den Sünden rettet. Dasselbe Prinzip finden wir auch stets im Buch der Richter, wo einer der Richter, Simson, sogar durch seinen Tod einen größeren Sieg erreicht, als durch sein Leben (Ri 16:30) – ein Prinzip, dass Jesu Leben und Tod vorausahnen lässt. Oftmals werden aber gerade diese Retter, Könige und Propheten von ihren eigenen Landsleuten vorerst abgelehnt und verfolgt, beispielsweise David, der bereits der erwählte König war, aber dennoch vor seinem eigenen König und Volk fliehen und sich verstecken musste. Auch Josef, der von Gott ausersehene Retter seiner Familie, wurde wie Jesus vorerst nicht erkannt, abgelehnt und sogar wie Jesus für Geld verraten und verkauft. Auch Hiob wurde von seinen Freunden der Sünde bezichtigt und abgelehnt, obwohl er wie Jesus der Gerechte war, der zu Unrecht litt und am Ende durch seine Fürbitte seine Freunde rettete (gerade in den Klagen im Buch Hiob finden wir auch einige literarische Parallelen zum vierten Gottesknechtslied). Auch die Opferung und Hingabe eines Gottesmannes für die Rettung des Volkes finden wir im Alten Testament „vorausgeschattet“: So wird der verheißene Sohn, Isaak, von Abraham hingegeben und als Zeichen der Auferstehung wiedererlangt (Heb 11:19). Und auch Mose feilscht mit Gott und bietet sein Leben, damit Gott dem Volk Israel vergibt (Ex 32:32). Die Reihe könnte noch durch viele weitere Prinzipien fortgesetzt werden.
Psalme
Bemerkenswert ist aber dabei noch der Blick ins Buch der Psalmen: So handelt es sich zwar hauptsächlich um Gebete von Menschen an Gott. Diese werden aber schon früh vom Volk Gottes als prophetische Botschaften von Gott angesehen (vgl. auch z.B. Apg 2:23-30). Und somit ist auch naheliegend, dass das Buch der Psalmen auch Voraussagen und Vorschattungen des Messias enthält: der betende, verfolgte, leidende und schlussendlich erhörte Psalmist kann so als Typus für den verratenen (z.B. Ps 41:10), leidenden (z.B. Ps 34:19) und vom Totenreich erretteten (z.B. Ps 16:10; 49:16) Messias gesehen werden: so finden wir hier eine Person, die beispielsweise von Gott verlassen und von seinen Feinden umstellt ist, deren Hände und Füße durchbohrt und deren Kleidung verlost werden (Ps 22) – eine überraschend passende Beschreibung der Situation der Kreuzigung. Auch in vielen anderen Büchern und Textabschnitten könnten so Typologien und Voraussagen in großer Zahl angefügt werden.
Mögliche Einwände
Insgesamt also sprechen also die Texte des Alten Testaments für die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft. Nun mag man einwenden: die erfüllten Prophezeiungen wurden eben im Nachhinein erfunden, um eine Pseudo-Erfüllung der Voraussagen zu haben, die Prophetien seien also alle als fake zu betrachten. Hier kann aber eindeutig darauf verwiesen werden, dass das Judentum unabhängig vom Christentum die Schriften mit diesen Voraussagen bewahrt und überliefert hat. Und da die Juden zum größten Teil Jesus als Messias ablehnen, hätten sie kein Motiv gehabt, so eine Täuschung durchzuführen. Man könnte in jede Synagoge gehen und dann dort ebenfalls die Texte mit den genannten Voraussagen finden. Von einer arglistigen Täuschung keine Spur. Vielmehr ist auch vorausgesagt, dass das jüdische Volk den Messias vorerst nicht erkennen und annehmen würde (Jes 53:1-3, Hab 1:5, Jes 6:9-10, bzw. die Ablehnung Josefs, Moses usw.). Auch dies hat sich erfüllt. Zwei Weltreligionen überliefern also unabhängig voneinander die Texte, die Jesus von Nazareth voraussagen. Also eine hieb- und stichfeste Sache. Zudem waren die direkten Nachfolger Jesu bereit, für diese Überzeugung zu sterben. Auch dies ist ein Indiz gegen eine Verschwörung. Außerdem kann das Neue Testament historisch sicher in das erste Jahrhundert datiert werden. Die Hypothese einer Messias-Erfindung Jahrhunderte nach dieser Zeit kann somit auch ausgeschlossen werden. Natürlich können sowohl weitere Einwände als auch weitere Prophetien angeführt werden, doch an dieser Stelle soll gesagt sein, dass wir durch die Historizität der Evangelien, durch das Blutzeugnis der Apostel sowie durch die unabhängige Überlieferung der Voraussagen durch eine andere Weltreligion eine stichhaltige Angelegenheit vor uns haben, die uns ermutigt, den angebotenen Glauben guten Gewissens anzunehmen.