Die Unmöglichkeit einer systematischen Bibelverfälschung

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Simon Garrecht
veröffentlicht am 3.6.2024

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Skeptische Atheisten und Agnostiker, aber auch Vertreter verschiedenster Religionsgemeinschaften und Sekten wenden immer wieder ein, dass die Schriften der Bibel gezielt verfälscht worden seien. 
Von vielen Muslimen hört man etwa, dass die Lehre der Dreieinigkeit in die Bibel hineingeflossen wäre oder Prophezeiungen über Mohammed herausgenommen worden seien. Andere behaupten, dass die biblischen Texte ursprünglich Lehren wie die Reinkarnation und andere enthalten hätten, die von christlichen Mönchen und anderen entnommen worden wären. Vorwürfe wie diese lassen sich unter Kritikern der Bibel zahlreiche finden. Was ist von ihnen zu halten?

Man könnte an dieser Stelle auf die vielen tausenden Manuskriptfunde hinweisen, die diesen Einwand faktisch widerlegen und aufzeigen, dass die uns heute vorliegenden Texte im Wesentlichen den ursprünglich abgefassten entsprechen. 

Ich will dazu nur mal ein einziges Zitat des mittlerweile verstorbenen Leiters des Instituts für neutestamentliche Textforschung an der Universität Münster anfügen:

“Der Text des Neuen Testaments ist hervorragend überliefert, besser als der jeder anderen Schrift der Antike; die Aussicht, dass sich Handschriften finden, die seinen Text grundlegend verändern, ist gleich Null.”

- Kurt Aland


Doch möchte ich das Pferd hier mal von einer anderen Seite aufsatteln. 

Die Schriften der Bibel umfassen aus evangelischer Perspektive 66 verschiedene Bücher, von denen 39 zum Alten und 27 zum Neuen Testament gehören. Die Texte des Alten Testaments werden dabei sowohl von Christen als auch von Juden als autoritative heilige Schriften anerkannt. Das ist für den Vorwurf, einer angeblichen Schriftverfälschung von enormer Signifikanz. Denn wenn jemand sagt, dass Christen eine inhaltliche Verfälschung des Alten Testaments vorgenommen hätten, dann hätte das in Kooperation mit jüdischen Personengruppen stattfinden müssen.

Wer sich mit der gemeinsamen Historie von Juden und Christen auseinandersetzt, wird schnell feststellen, dass die - vor allem in der Antike - nicht unbedingt von einem gemeinsamen Miteinander geprägt war, um das zurückhaltend auszudrücken. Wie soll man sich also eine inhaltliche Verfälschung des Alten Testaments vorstellen?  Saßen Vertreter jüdischer Gemeinschaften und christlicher Kirchen zusammen an einem Tisch, haben gemeinsam über die Veränderungen an den Texten diskutiert und diese dann in ihren jeweiligen Kreisen umsetzen lassen? Das ist absurd.

Dass einzelne Kopisten, bei dem Abschreiben der Manuskripte Fehler gemacht haben, wird keiner leugnen, der sich mit Textkritik auseinandergesetzt hat. 
Ebenso wenig, dass es auch vorkam, dass Abschreiber an einzelnen Stellen ihre eigenen Überzeugungen einfließen lassen und dementsprechend Passagen verändert haben. Aber und das ist der entscheidende Punkt:
Die biblischen Texte waren so weitflächig verbreitet, dass es überhaupt nicht möglich war, dass jemand Lehren in die Bibel hinein trägt, oder aus dieser herausnimmt. 

Und wenn wir über eine inhaltliche Verfälschung der Bibel sprechen, dann ist eigentlich vor allem das relevant.  Wenn ein Kopist im Süden von Spanien, eine Passage falsch abgeschrieben hat, dann sind ja nicht gleichzeitig auf magische Weise alle anderen zigtausenden Abschriften, die in der gesamten antiken Welt verbreitet waren, ebenso verändert worden. 

Hier einmal eine Karte, die zeigt, wie weitflächig die frühe Kirche bereits gegen Ende des 2. Jahrhunderts verbreitet war: 

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Diercke Weltatlas - Die Ausbreitung des Christentums im Römischen Reich

Für das Ende des 1. Jhd. lassen sich bereits 60 Städte oder Landschaften nennen, in denen christliche Gemeinden bestanden. Schätzungen der Zahlen im Abendland: 

  • Ende des 1. Jahrhunderts: Wenige Tausend. 
  • Ende des 2. Jahrhunderts: Einige Zehntausend, 
  • Ende des 3. Jahrhunderts: Etwa zwei Millionen, im dichter besiedelten Osten entsprechend mehr. Im gesamten Imperium zwischen 5 und 20 % der Einwohner.

Es gibt Schätzungen, dass zu Beginn des 4. Jhd. etwa 7 Millionen der 50 Millionen Einwohner im römischen Reich Christen waren, also circa 15 %. Das war ungleichmäßig verteilt; in manchen Gegenden wie Armenien war fast die Hälfte der Bevölkerung christlich.

Alleine auf der Basis der Manuskripttradition, kann gesagt werden, dass die Werke des Neuen Testaments der Christen, die am häufigsten kopierte und wertflächig verteiltesten Bücher der Antike waren.

- Peters. F.E. The Harvest of Hellenism. New York: Simon and Schuster, 1971.

Überall dort bestanden Kirchen, die Teile der Bibel vorliegen hatten. Überall dort lebten Christen, die Teile der Bibel in ihren Privathäusern hatten. Manche scheinen sich da geradezu so vorzustellen, als hätte es öffentlich einsehbare Bibeln gegeben, die dann nach ihrer Besuchszeit von 20 Uhr bis 8 Uhr am nächsten Morgen in der völligen Kontrolle der Kirche waren, sodass diese unbemerkt an diesen herumdoktern konnte, wie es ihr beliebte. Tatsache ist aber, dass alle möglichen Menschen Teile der Bibel vorliegen hatten: Kirchengemeinden, Christen verschiedener Kirchen, Mitglieder verschiedener christlicher Sekten, jüdische Gruppen, Gegner der Christen etc.

Wie hätte es jemand anstellen sollen, dass alle diese verschiedenen Gruppen miteinander kooperieren und die Bibel auf dieselbe Weise inhaltlich verändern? Und müssten dann nicht bei all den Manuskriptfunden aus der Antike irgendwo auch ein paar Originale aufgetaucht sein? Also die Evangelien, die nichts von einer Dreieinigkeit schreiben, dafür aber Mohammed-Prophetien oder die Lehre einer Reinkarnation enthalten?

Wer hätte denn eine solche Autorität besessen, dass er alle Menschen der damaligen Welt dazu hätte zwingen können, ihre Bibelmanuskripte auszuhändigen, sodass er diese verfälschen kann? Selbst wenn es ein mächtiger römischer Kaiser oder Papst gewesen wäre - er wäre gar nicht von allen anerkannt worden und deshalb gar nicht in der Lage dazu gewesen.

Ganz abgesehen davon, lebten viele Christen in miteinander verfeindeten Reichen und waren darum zum Teil über Jahrhunderte voneinander ab gekappt und hätten sich gar nicht miteinander (oder mit anderen) über eine Bibelverfälschung abstimmen können.

Ein weiteres gewichtiges Argument, ist, dass mehr als 30 Kirchenväter in den ersten vier Jahrhunderten Briefe verfasst haben, die biblische Zitate enthalten. Renommierte Textkritiker schreiben dazu Folgendes:

Die Zitate der Bibel in den Werken der frühchristlichen Verfasser sind so umfassend, dass man aus ihnen das NT so gut wie rekonstruieren könnte, ohne neutestamentliche Manuskripte zu gebrauchen.

J. Harold Greenlee

In der Tat sind diese (Kirchenväter-) Zitate so umfangreich, dass wenn uns alle Quellen für unsere Kenntnis des neutestamentlichen Textes verloren gegangen wären, sie doch allein ausreichen würden, um praktisch das ganze Neue Testament zu rekonstruieren.

Bruce Metzger

Nahezu das gesamte Neue Testament kann also alleine aus diesen (36.000) Zitaten rekonstruiert werden. Es gab Hunderte Briefe und Bücher der Kirchenväter sowie zig Abschriften von diesen, die mindestens ebenso weitflächig verbreitet waren wie die Texte der Bibel selbst. Bibelfälscher wären also vor der nächsten unbezwingbaren Mammutaufgabe gestanden, auch diese alle ausfindig zu machen und zu verändern.

Zusammenfassend noch einmal einige W-Fragen, die bei genauerem Nachdenken schnell merken lassen, wie abwegig die Vorstellung einer systematischen Bibelverfälschung ist:

Wer?

Wer hat die Bibel verfälscht? Wer hätte die Autorität dazu gehabt, dass andere ihm ihre Bibeltexte zum Verfälschen aushändigen?

Wie?

Wie hätte das funktionieren sollen? Also mal rein organisatorisch - wie hätte das logistisch möglich sein sollen, von Spanien bis nach Indien sämtliche Bibelmanuskripte aufzufinden und auf dieselbe Weise zu verändern? Wurden die echten Ausgaben alle verbrannt? Und wie haben die Verfälscher das hinbekommen, dass keiner das mitbekommt und ihre gigantische Verfälschungsaktion dokumentiert?

Wann?

Wann soll diese Bibelverfälschung stattgefunden haben? Sie hätte schon sehr früh passieren müssen, da die christliche Bewegung sich bereits gegen Ende des ersten Jahrhunderts extrem weitflächig verbreitet hat und das logistisch ein Ding der Unmöglichkeit war.

Warum?

Warum sollten das Menschen überhaupt gemacht haben? Gerade wenn es um Punkte, wie die angeblich mal in der Bibel enthaltenen Mohammed-Prophetien geht, stellt sich diese Frage. Warum sollten Christen, die im 3./4./5. Jahrhundert leben, die (angeblichen) Voraussagen über einen Propheten, der im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel lebt, ausstreichen? Was haben sie davon? 

Wo?

Wo wurden diese Texte denn verändert? Wurden alle eingesammelt und in den Vatikan zum Verfälschen geschickt? Oder wurden alle verbrannt und die neuen editierten Textausgaben, dann den Kirchen, Synagogen und Einzelpersonen wieder überreicht? Und wieder: Warum hat niemand etwas davon mitbekommen?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es einen wirklich mit Staunen zurücklassen kann, wie eine dermaßen abenteuerliche Vorstellung, wie die, einer systematischen, inhaltlichen Bibelverfälschung, es schafft, eine so weite Verbreitung zu finden. Die historischen Gegebenheiten machen eindeutig, dass es nicht möglich gewesen wäre, eine solche Verfälschung vorzunehmen. Die textkritischen Befunde ohnehin. Natürlich ist ein Text noch nicht inhaltlich wahr, weil er über Jahrhunderte oder Jahrtausende gut überliefert wurde. Dennoch zeigt sich, dass Christinnen und Christen ihre heiligen Texte mit der Zuversicht lesen können, dass diese im Wesentlichen dem entsprechen, was die Autoren damals geschrieben haben.