Die Gottheit Jesu bei den frühchristlichen Autoren
Achim Schnell
veröffentlicht am 17.11.2023
Ist Jesus Gott? Oder war er nur ein „göttliches“ Geschöpf –wie die Zeugen Jehovas sagen – oder gar ein bloßer Mensch – wie Muslime behaupten? Ist die Dreieinigkeit also nur eine späte Erfindung der römischen Kirche? Oder haben bereits die frühen Christen an Jesu Göttlichkeit geglaubt und ist Jesus Christus also tatsächlich der wahre und allmächtige Gott in Person? Diese Frage ist zentral und eventuell sogar heilsentscheidend, denn Jesus sagte, die Juden würden „in ihren Sünden sterben“, wenn sie nicht glaubten, dass Jesus der „ICH BIN“ (Jahwe) ist (Joh 8:24) und auch für Paulus wird man gerettet, wenn man Jesus als den alttestamentlichen Herrn anruft (Rö 10:9-13).
Während anhand der Bibel die Frage nach dem Gott-Sein Jesu klar beantwortet werden kann (Jesus wird im Neuen Testament mit dem Gott des Alten Testaments identifiziert (z.B. Mt 3:3 oder Heb 1:10), angebetet (z.B. Off 5:12) und selbst Gott genannt (z.B. Joh 1:1, 20:28), wäre eine weitere Frage, ob die ersten Christen, also die Generationen kurz nach der Zeit der Apostel, ebenfalls von der Göttlichkeit ihres Retters ausgingen. Wäre dies der Fall, gäbe es einen weiteren guten Grund, ebenfalls an diesem Glauben festzuhalten und die Behauptungen anderer Glaubensgemeinschaften diesbezüglich zu widerlegen. Zudem möchten wir auch Zitate nicht-christlicher antiker Autoren zu dieser Streitfrage untersuchen.
Einer der ersten Christen, die außerbiblisch historisch als gesichert gelten können, sind die sogenannten Apostolischen Väter. Dies sind Verfasser von christlichen Schriften aus dem ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. Sie sind also teilweise von der direkten Generation nach den Aposteln und haben die Jünger Jesu also noch persönlich kennen können.
Einer von ihnen ist der Kirchenvater Ignatius, der der Bischof der Stadt Antiochien war – der Stadt, deren Evangelisierung bereits in der Apostelgeschichte erwähnt wird und in der die Gläubigen das erste Mal „Christen“ genannt wurden (Apg 11,20.26). Dieser Ignatius war womöglich von Petrus selbst als Gemeindeleiter eingesetzt worden und wurde im Rahmen von Christenverfolgungen gefangen genommen und nach Rom gebracht, wo er wahrscheinlich um die Jahre 108 bis 117 n. Chr. den Löwen vorgeworfen wurde. Auf dem Weg zu seinem Martyrium schrieb er sieben Briefe an verschiedene antike Gemeinden. An die Epheser schreibt er, dass sich „Gott in Menschengestalt“ offenbarte (Ignatius an die Epheser 19:3). In diesem und den anderen Briefen begegnen wir zudem immer wieder der Formulierung „unser Gott Jesus Christus“. Offensichtlich war für ihn und die damalige Generation die Göttlichkeit Jesu ein Fakt.
Auch für Melito, dem Bischof der kleinasiatischen Gemeinde in Sardes, war Jesus der wahre Gott. Er ist der erste frühchristliche Autor, der die These vom sogenannten Gottesmord prägte, also der Aussage, dass die Juden Gott persönlich in der Person Jesu ermordet hätten (Homilie zu Ostern, Peri pascha). Auch diese Aussage impliziert logischerweise, dass er von der Gleichsetzung Jesu mit Gott ausging. Er starb um 180 n. Chr.
Neben frühchristlichen Gemeindeleitern gab es auch die sogenannten Apologeten. Diese waren Verfasser von philosophischen Verteidigungsschriften, in denen sie den christlichen Glauben ihren römischen Mitbürgern und Herrschern nahebrachten und empfahlen. Einer von ihnen, Aristides von Athen, schrieb in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, dass Christus „als Gott vom Himmel niederstieg“ (Apologie des Aristides, Kapitel 2) und Mensch wurde. Für den Apologeten Justin dem Märtyrer war Jesus derselbe Gott, der im Alten Testament Jakob und Mose begegnete (Dialog mit Trypho, 126:2-3). An vielen weiteren Stellen seiner Schriften setzt er dezidiert Jesus Gott gleich. Er lebte um die Jahre 100 bis 165 n. Chr. Auch für Tatian dem Syrer, einem seiner Schüler, war Jesus als Gott in Menschengestalt erschienen (Oratio ad Graecos, Kap. 21). Im apologetischen Diognetbrief, datiert auf die Jahre 120 bis 210 n. Chr., ist Jesus „der Ewige“ (Mathates, Brief an Diognet, Kap. 11).
Auch für spätere Kirchenväter war die Frage nach Jesu göttlicher Natur klare Sache. Für Clemens von Alexandrien (150-215 n.Chr.), Irenäus (135-200 n.Chr.), für den gläubigen römischen Anwalt Tertullian (150-222 n.Chr.), für Hippolyt von Rom (170-235 n.Chr.) und den Kirchenlehrer Origenes (gest. 253 n.Chr.) war Jesus wahrer Mensch, aber eben auch wahrer Gott, viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte vor der Konstantinischen Wende und dem Konzil von Nicäa (genauere Angaben der Zitate: siehe Quellenverzeichnis). Zwar lehrten einige von ihnen den sogenannten Subordinationismus, nach der Sohn dem Vater untergeordnet war. Doch galt ihnen seine Natur eindeutig als göttlich und eins mit dem Vater. Keiner von ihnen lehrte, dass Jesus bloß ein Geschöpf des Vaters sei. Die Behauptung, das Dogma der Gottheit Jesu sei viel später von der katholischen Kirche dem Kirchenvolk aufgestülpt worden, kann also eindeutig entkräftet werden. Vielmehr war diese Glaubenswahrheit seit Tag und Stunde den ersten Christen bekannt.
Nun mag man einwenden, die Kirche habe eben nur die Weitergabe jener Schriften begünstigt, die dieses Dogma prägten und andere frühe Christen nicht weiter überliefert. Diese Verschwörungstheorie hat allerdings keine historische Basis: die ersten frühchristlichen Schriften befürworten eben die Göttlichkeit Jesu, für andere Standpunkte finden sich keine anerkannten Quellen. Wer diese Überlieferung ablehnt, müsste auch die Kanonisierung des Neuen Testaments, also die Festlegung der gültigen neutestamentlichen Bücher, in Zweifel ziehen. Jene Kirche, die uns die Bibel verlässlich überliefert hat, hat nun mal auch die Schriften der Kirchenväter mit dem Glaubenssatz der Göttlichkeit Jesu übermittelt. Dieser Glaube war also stets in der Mitte der Kirche als Standard anerkannt.
Vielmehr musste sich die frühe Kirche in ihren Anfängen gegen die gegenteilige Position zur Wehr setzen: dem Doketismus. Diese Lehre besagte, dass Jesus kein Mensch gewesen sei, sondern nur ein göttliches Wesen mit einem Scheinleib – eine Irrlehre, die bereits in der Bibel bekämpft wird (1. Joh 4:2). Wäre die Göttlichkeit Christi also keine Selbstverständlichkeit gewesen, hätte sich diese Häresie gar nicht erst verbreiten können. Positionen, die auf der anderen Seite nur die menschliche Natur Jesu gelten ließen und die Gottheit Jesu ablehnten, kamen erst später auf (Adoptionismus ab 190 n.Chr. und der Arianismus ab 318 - 325 n.Chr.).
Doch neben den frühchristlichen Autoren lassen sich auch Hinweise von heidnischen antiken Schriftstellern heranziehen, um die Frage nach dem Glauben an Jesu Göttlichkeit zu untermauern. Plinius der Jüngere, ein römischer Anwalt und Senator mit den Lebensdaten 61-115 n.Chr., schrieb in seinem Brief an den Kaiser Trajan über die Christen, die ihrem Glauben abschworen:
„Sie versicherten darüber hinaus, ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, dass sie sich gewöhnlich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang versammelten, Christus wie einem Gott einen Wechselgesang darbrachten“.
Interessanterweise waren hier wohl das Schuldeingeständnis der Abgefallenen und die Wahrnehmung der Römer dahingehend, dass Jesus als Gott von ihnen angebetet wurde. Offenbar wurde damals Christus gegenüber auch Lobpreis dargebracht – ein klares Argument für unsere These. Auch Lukian von Samosata, ein bedeutender griechischer Schriftsteller, der von 120 bis ca. 200 n.Chr. lebte, berichtet, dass die Christen ihre Knie „vor jenem gekreuzigten Sophisten“ beugten oder „anbeteten“ (vgl. Phil 2:6-11), nachdem sie „die griechischen Götter verleugnet“ hatten. Auch hier steht also die Anbetung der Götter der Anbetung Jesu gegenüber – ein Argument, diese Passage im Sinne des Gott-Seins Christi zu verstehen.
Der wohl eindrücklichste nicht-christliche Hinweis auf Jesu Göttlichkeit ist ein durch Zufall erhaltenes Spottbild gegen einen Christen. Es handelt sich um eine in Rom auf eine Wand eingeritzte Zeichnung, die ein Kruzifix mit einem Esel als Gekreuzigten darstellt.
Davor ist die Zielperson der Karikatur eingezeichnet, mit der Inschrift: „Alexamenos betet seinen Gott an“. Dieses Spottbild wird auf das erste Viertel des 3. Jahrhunderts n.Chr. datiert. In der Beobachtung des Verleumders müssen also die Christen dieser Zeit tatsächlich Jesus Christus Anbetung entgegengebracht haben, da diese karikaturhafte Szene sonst wenig Sinn ergäbe.
Fazit: Ob man nun die Bibel, die frühchristlichen angesehenen Autoren oder auch heidnische antike Quellen heranzieht: Die Göttlichkeit Jesu war von Beginn an Konsens der Gläubigen und keinesfalls eine spätere Indoktrinierung durch Kaiser Konstantin oder Ähnliches.