Die Existenz von Moral führt uns zur Existenz Gottes
Aaron Bürger
veröffentlicht am 23.11.2023
Ohne eine Hierarchie definierter Werte sind dem Menschen weder rationales Verhalten noch überlegte Werturteile, oder moralische Entscheidungen möglich. Jeder Mensch muss über ein Wertesystem verfügen, um überhaupt handeln zu können. Die Frage, die sich hier nicht stellt, ist, ob jeder Mensch die gleiche Hierarchie an Werten hat oder haben soll. Spannend ist es eher, was der höchste Wert an dieser Spitze ist, da er aus theologischer Perspektive die gleiche Rolle hat wie ein Gott.
Luther schreibt im großen Katechismus:
„Was heißt, einen Gott haben, oder was ist Gott? Antwort: ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten; also dass einen Gott haben, nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben; wie ich oft gesagt habe, dass allein das Trauen und Glauben des Herzens beide macht, Gott und Abgott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht; und wiederum, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist., da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zu Haufe, Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.“1
Aber brauchen wir Gott für Moral? Wenn wir uns nun die Frage stellen, ob man ein sinnvolles Leben ohne Gott leben kann, so würde ein Theologe oder eine Theologin diese Frage mit dieser Argumentation eindeutig verneinen können. Ein Agnostiker oder Atheist würde vielleicht sagen, dass der Sinn in seinem oder ihrem Leben die Familie, die Freunde, Leistung oder ein Mehrwert für die Gesellschaft ist. Daraufhin könnte ein Theologe oder eine Theologin entgegnen, dass dies eigentlich sein oder ihr Gott ist, oder zumindest dessen Funktion übernimmt. Entscheidend für die Argumentation ist also an dieser Stelle nicht, ob Gott existiert oder nicht, da es aus theologischer Perspektive Dinge gibt, die zumindest dessen Funktion übernehmen können.2 Ebenso müsste dafür zuerst die Definition von „Gott“ geklärt werden. Aus theologischer Perspektive könnte man entgegnen: Man muss nicht an Gott glauben, um moralisch zu handeln. Als moralische Realisten gehen Theisten aber davon aus, dass Gott die Quelle der Moral ist. Demnach braucht man Gott.
Das Moral-Argument
Was wäre, wenn es tatsächlich moralische Tatsachen und Pflichten gibt? Was wäre die Konsequenz daraus. Wenn sie existieren, woher kommen sie dann? Sie lassen sich schwer rein aus naturalistischen Erklärungsversuchen herleiten.
Prämisse 1: Moral ist rational. Moralische Fakten und Pflichten werden durch Rationalität und Argumentation entschlüsselt, ähnlich wie Mathematik oder philosophische Positionen.
Prämisse 2: Der moralische Realismus ist wahr, d. h. es gibt moralische Fakten und Pflichten. Dies ist die umstrittenste Prämisse, und die meisten Skeptiker verneinen diese Aussage.
Prämisse 3: Die moralischen Probleme und Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen sind zu groß, als dass wir annehmen könnten, dass moralische Fakten und Pflichten auf einer menschlichen Quelle der Rationalität beruhen. Dies ist wahr, weil Menschen nicht die Quelle moralischen Wissens sein können. Wir sind keine perfekten, moralischen Wesen. Auch C. S. Lewis schreibt dazu: „Niemand von uns hält das Naturrecht ein. [...] Ich möchte nur auf die Tatsache aufmerksam machen, [...] dass wir selbst es in diesem Jahr, in diesem Monat oder höchstwahrscheinlich an diesem Tag schon versäumt haben, das Verhalten zu praktizieren, das wir von anderen Leuten erwarten.“3
Da wir selbst keine perfekten moralischen Wesen sind, können wir nicht die Grundlage der Rationalität der Moral sein. Der Mensch hat die Gesetze der Logik und der Mathematik nur entdeckt, wir haben sie nicht erschaffen. Wenn Moral ein rationales Unterfangen ist und der moralische Realismus wahr ist, dann würde daraus einfach folgen, dass moralische Tatsachen und Pflichten nicht auf menschlicher Rationalität beruhen können, weil Menschen kontingente Wesen sind und die moralischen Gesetze ständig übertreten. Kritisieren könnte man an dieser Prämisse, dass wir uns Perfektion vorstellen können, auch wenn wir sie nicht in der Realität erleben. So wie wir in der Theorie einen perfekt runden Kreis imaginieren können, so ist es selbst durch die modernsten technischen Möglichkeiten nicht möglich, ihn abzubilden. Diese Vorstellungen finden sich vor allem bei der Ideenlehre Platons in Phaidon. Wir können in einer vergänglichen Welt sehen, wie Dinge altern und vergehen.
Doch können wir allein aus dieser Beobachtung auf die Idee eines Unvergänglichen kommen? Wenn wir nur beobachten, wie z.B. ein Apfel verfault, so fällt es doch schwer, sich allein durch diese Beobachtungen das Gegenteil vorzustellen, was jedoch nicht bedeutet, dass dies unmöglich ist. Können wir uns vorstellen, wie etwas nicht altert, wenn wir nichts kennen, das nicht altert? Könnte sich ein Mensch Moral in Perfektion vorstellen? Wie könnten wir uns etwas absolut Gutes vorstellen, wenn wir selbst nicht einmal wissen, was gut und schlecht für uns ist? Schnell wird klar, dass selbst Alltagsbegriffe wie Tapferkeit, Gnade oder Barmherzigkeit sich schwer in Perfektion vorstellen lassen. Auch andere Werte, wie z.B., wer oder was Familie bedeutet, wird von jedem unterschiedlich gefüllt. Dies wird nicht nur im Hinblick auf dem grundlegenden Verständnis deutlich, sondern, auch wenn es darum geht, es sich in Perfektion vorzustellen. Was ist denn zum Beispiel die größte und beste Form von Gnade?
Was folgt logisch aus Prämisse 2? Moralische Tatsachen und Pflichten sind objektiv wahr, also müssen sie in etwas Notwendigem und Unveränderlichem begründet sein. Das wäre durch logische Deduktion offensichtlich wahr, aber auch aus Prämisse 1 wissen wir, dass Moral ein rationales Unternehmen ist, also müssen moralische Tatsachen und Pflichten in einer rationalen Quelle begründet sein. Nicht empfindungsfähige Objekte können nicht rational sein, also muss es etwas Empfindungsfähiges sein, um rational zu sein, einfach durch logische Schlussfolgerung. Moralische Tatsachen und Pflichten können also nicht in kontingenten Menschen begründet sein. Diese müssen auf etwas Unveränderlichem und Notwendigem beruhen, denn Moral ist rational begründet. Diese notwendige, unveränderliche Grundlage muss ebenfalls rational und empfindungsfähig sein.
Daraus ergibt sich logisch die Prämisse 3: Moralische Tatsachen und Pflichten gründen sich auf eine notwendige, rationale Quelle, welche nicht menschlich ist.
Wichtig dabei zu bedenken ist, dass wir zwischen Ontologie und moralischer Epistemologie unterscheiden müssen. Es geht in dieser Argumentation ausschließlich darum, ob objektive Moral existiert. Wenn der moralische Realismus wahr ist, dann würden moralische Fakten und Pflichten auf einer notwendigen rationalen Quelle beruhen. Es geht nicht darum, ob Atheisten „gute“ Menschen sein können. Die Art und Weise, wie wir von objektiven moralischen Fakten und Pflichten erfahren, sagt nichts darüber aus, worauf sie beruhen, was ihre Quelle ist.
Was ist jedoch dann diese Quelle? Man könnte diese Quelle Gott nennen. Dennoch muss festgestellt werden, dass die dritte Prämisse vor allem durch das Beispiel der „Idee“ eines perfekten runden Kreises von Platon infrage stellen lässt. Es darf nicht aus der Tatsache, dass wir logisch nicht genau erklären können, wie Moral entstanden ist, folgen, dass Gott automatisch in die Lücke des Nichtwissens rutscht. Wenn wir jedoch zweifelsfrei nachweisen können, dass Menschen nicht die rationale Quelle für Moral sein können, dann ist es möglich, diese andere Quelle als Gott zu bezeichnen.
Das Gute heißt Gott; das Gute ist nicht etwas anderes, das von ihm abhängig ist. Dies ist eine echte Alternative zur attributiven Begriffsdefinition von „gut“ im Verhältnis zu Mackie. Das Gute selbst muss die rationale, notwendige Quelle sein. Das Gute ist also Gott, und Gott ist das Gute. Wie wir also sehen, führt uns der moralische Realismus, wenn er wahr ist, direkt zurück zur Existenz einer bewussten Quelle. Interessant ist, dass es Eigenschaften in der Bibel gibt, wo Gott als die direkte Quelle dessen bezeichnet wird. Wir könnten uns also fragen, was es über Moral aussagen würde, wenn Gott tatsächlich Liebe ist,4 oder gut ist.5
Wenn Gott gut ist, dann ist er norma normans von Gut im Verhältnis von etwas. Dann ist er direkte kausale Zusammenhang von „gut“ und Moral gegeben und Moral wird nicht rein deskriptiv konstruiert. Es gibt neue Möglichkeiten herauszufinden, was „wahr“, „falsch“, „gut“ oder „schlecht“ für den Menschen ist. Gott als moralischer Gesetzgeber ist der Maßstab.
Quellen:
1 Vgl. https://www.ekd.de/Grosser_Katechismus-Erste-Gebot-13480.htm zuletzt aufgerufen am 05.11.23
2 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=syP-OtdCIho Minute 45.43 – 46,42 zuletzt aufgerufen am 07.11.23
3 Vgl. S. 27, Lewis, C.S., Pardon, ich bin Christ
4 1. Johannes 4,16
5 Vgl. Matthäus 19,17; Markus 10,18; Lukas 18,19