Der mormonische Glaube auf dem Prüfstand
Achim Schnell
veröffentlicht am 21.11.2024
Wer kennt sie nicht? Die meist amerikanischen, sympathischen Missionare in Hemd, Lackschuhen und Krawatte, die die frohe Botschaft vom Buch Mormon an den Mann bringen wollen. Doch was hat es mit dieser religiösen Gruppierung und mit ihrem geheimnisvollen Buch auf sich? Und vermitteln sie uns etwa die korrekte Vorstellung über Gott und die Bibel?
Ursprung und Grundlagen des Mormonentums
Mormonen, oder besser gesagt Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Latter Day Saints, LDS), glauben, dass dem Amerikaner Joseph Smith 1820 eine göttliche Vision zuteilwurde und er somit von Gott zum Propheten und Kirchengründer berufen wurde. Im weiteren Verlauf wurde er von Gott beauftragt, ein angeblich antikes Buch, dessen Inhalt sich auf goldenen Platten befand und das er nahe seinem Wohnort entdeckte, zu übersetzen. Die Glaubensgemeinschaft ist der Überzeugung, dass dieses Dokument aus früherer Zeit stammt: So soll eine Gruppe von Israeliten vor der Zeit Jesu mit dem Schiff nach Amerika übergesetzt haben und sich dort vermehrt haben, sodass ein Teil der indigenen Bevölkerung Amerikas eigentlich jüdischer Abstammung sei. Der auferstandene Jesus Christus sei dann später diesen israelisch-amerikanischen Völkern erschienen und habe auch dort seine Lehren verkündet. Diese Ereignisse seien von Nachfahren dieses Volkes auf die goldenen Platten niedergeschrieben worden und dann durch göttliche Fügung in Smiths Hände gelangt. Das so entstandene Buch Mormon und weitere Offenbarungen an Joseph Smith dienen der Kirche als Richtschnur für ihre Sonderlehren und als Rechtfertigung, die einzig autoritative Kirche der letzten Zeit zu sein.
Kritische Betrachtung aus christlicher Perspektive
Was ist davon aus christlicher Sicht zu halten? Könnte es sich hierbei um eine vertrauenswürdige Offenbarung halten oder muss der Sachverhalt eher kritisch beäugt werden?
Zum einen muss aus unserer Sicht klar festgehalten werden, dass mit der Erscheinung Jesu und dem Verfassen des Neuen Testaments die Offenbarung Gottes an die Menschheit prinzipiell abgeschlossen ist. Zwar gab und gibt es auch nach Jesus noch prophetisch begabte Menschen (vgl. Apg 11:27f, bzw. die Johannes-Offenbarung), doch das Wort Gottes, die Richtschnur des Glaubens, ist mit dem Abschluss des Neuen Testaments beendet und Jesus Christus kann als der letzte Gesandte und höchste Form des Sich-Offenbarens Gottes angesehen werden (vgl. Heb 1:1). Auch die Apostel sahen es so: Für Johannes hat ein Lehrer „Gott nicht“, wenn er „nicht in der Lehre Christi bleibt“ und „darüber hinausgeht“ (2. Joh 9). Für Judas, den Bruder Jesu, wurde zur Zeit der Apostel die Glaubenswahrheit zu seiner Zeit „ein für alle Mal den Heiligen überliefert“ (Jud 3). Da die Lehren und Rituale der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage zu dieser Zeit nicht bekannt waren und überliefert wurden, müssen sie als eine unbiblische Neuerung verworfen werden. Zu der Behauptung, diese stammten eben aus früherer Zeit vor dem Abschluss der göttlichen Offenbarung, sei in einem späteren Abschnitt eingegangen. Zumindest ist aus christlicher Sicht kein Platz und keine Notwendigkeit für einen neuen, heilsentscheidenden Propheten nach Jesus vorhanden.
Aber selbst wenn Joseph Smith ein von Gott beauftragter Prophet gewesen wäre, weshalb sollte der Allwissende so lange Zeit verstreichen haben lassen sollen, bis er die verlorengegangene Kirche und Wahrheit wiederherstellt? Denn aus mormonischer Sicht wurden die wahren Lehren und Bräuche Gottes vergessen und die Kirche sei rund 1800 Jahre lang ohne bevollmächtige Leitung gewesen, bis Joseph Smith sie wiederhergestellt habe.
Wissenschaftliche und historische Untersuchungen des Buches Mormon
Betrachten wir aber das zentrale Buch der Glaubensgemeinschaft selbst: das Buch Mormon. Was ist dran? Sind die Beschreibungen der geschichtlichen Ereignisse darin vertrauenswürdig? Tatsächlich hat sich verschiedene Disziplinen der wissenschaftlichen Welt mit dem Buch und seinem Geschichts-Anspruch auseinandergesetzt. Die Ergebnisse müssen aber insgesamt als negativ einzuordnen sein: So fanden sich keine Gemeinsamkeiten zwischen den Orten, die das Buch Mormon angibt, und Orten, die der amerikanischen Archäologie bekannt sind (Coe, 1973). Zudem werden Tiere, Pflanzen und Metalle in den Erzählungen des Buches aufgeführt, die es im Amerika vor der Entdeckung der Europäer nicht gegeben hatte, wie beispielsweise Pferde, Ochsen und Schafe, Weizen und Seide, Stahl und Messing sowie Räder und Streitwägen (Coe, 1973; Duffy, 2008). Auch im Bereich der Genetik konnte nicht nachgewiesen werden, dass die indigenen Amerikaner Vorfahren aus dem Nahen Osten hätten, wie das Buch Mormon ja suggeriert (Southerton, 2004). Ebenso wenig konnte die Linguistik nachweisen, dass die Sprache der amerikanischen Ureinwohner verwandt mit denen des Nahen Ostens wären, was ebenfalls das Buch Mormon annehmen lässt (Duffy, 2008). Zudem existiert die Sprache namens „Reformiertes Ägyptisch“, aus der Smith die goldenen Platten ins Englische übersetzt haben soll, nicht (Davies, 1973).
Somit lässt sich des Eindrucks kaum erwehren, dass das Buch Mormon reine Fiktion und damit eine Erfindung statt eine göttlichen Offenbarung darstellt! (Interessanterweise gibt es in der Fachwelt tatsächlich einige Theorien über textuelle Abhängigkeiten des Buches Mormon von anderen Büchern, die beim Schaffen des Buches als Vorlage gedient haben können (z.B. die Spalding-Rigdon-Theorie zur Urheberschaft des Buches Mormon).) Zudem scheinen viele der Rituale und Bräuche, die in den Tempeln der Mormonen vollzogen werden, von denen der Freimaurerei inspiriert zu sein (Petersen, 2013). Auch Smith selbst, sein Vater und sein Bruder sowie einige der ersten Präsidenten der Kirche waren Mitglieder der Freimaurer-Loge in Nauvoo (Quelle 10). Insofern können die Rituale der Kirche nicht als Wiederherstellung aus apostolischer Zeit, sondern vielmehr als Übertragung aus freimaurerischer Praxis in die Statuten der Kirche betrachtet werden, also eine Vermischung christlicher Inhalte und antichristlicher Praktiken!
Glaubwürdigkeit von Joseph Smith
Außerdem gilt zu hinterfragen, warum dann der Allmächtige nur eine einzelne Person als Offenbarer der wiederhergestellten Wahrheit benutzt haben sollte, wo ja das biblische Prinzip immer fordert, dass eine Sache durch „zwei oder drei Zeugen“ und durch „Zeichen und Wunder“ bestätigt werden soll (Deut 19,15; Joh 5,33-36). Während das gesamte Volk die klaren Wunder Moses sah und siebzig Älteste mit ihm auf dem Berg Sinai waren und während sogar Jesus einen Vorläufer, Johannes den Täufer, hatte, der als Zeuge für seine Wahrheit aussagte, steht Joseph Smith mit dem Anspruch der Wahrhaftigkeit seiner Visionen alleine da. Zwar werden in der Einleitung des Buches Mormon acht Zeugen benannt, die die goldenen Platten gesehen haben wollen (die aber mit Smith verwandt, verschwägert oder Mitglieder seiner Kirche waren), aber die Begegnungen mit Gott, Engeln und anderen biblischen Personen konnte er meist nicht verifizieren. Drei weitere Zeugen behaupteten, ein Engel habe ihnen die goldenen Platten gezeigt, doch auch diese Personen waren Mitwirkende in Smiths Kirche. Und selbst die Begegnung mit höheren Wesen ist keine Garantie für eine göttliche Sendung(Gal 1:8, 2,. Kor 11:14). Auch durch öffentliche Wunder konnte er sich nicht auszeichnen; die Wunderheilungen durch ihn geschahen an Mitgliedern seiner Kirche. Vielmehr ist es ein häufig auftretendes Merkmal von Sekten und Sondergruppen, eine einzelne, mächtige Führerperson zu haben, von der die „Offenbarungen“ abhängig sind! Ist die zentrale Heilsfigur des Mormonentums vertrauenswürdig?
Im Gegenteil ist es so, dass Joseph Smith mit starker Skepsis betrachtet werden muss. So habe er bereits in jungen Jahren behauptet, über seherische Fähigkeiten zu verfügen, um verborgene Schätze aufspüren zu können (Bushman, 2005; Persuitte, 2000; Quinn, 1998). Seine Familie und sein Umfeld, sowie einige seiner Kirchen-Mitgründer waren tief verwickelt in magischen Volksglauben sowie in Astrologie, Zaubersprüche und die Verwendung von Wünschelruten und ähnlichem (Quinn, 1998). Zudem wurde ihm sogar später noch nach seiner „Offenbarung“ im Staat New York der Prozess gemacht und er für schuldig befunden, ein Trickbetrüger zu sein, auch wenn er nicht einer Strafe unterzogen wurde (Krakauer, 2003; Ellis, 2015).
Moralische und theologische Bedenken
Wie sieht es zudem auf dem Gebiet der Moralvorstellungen und –gebote der Kirche aus? Zum einen lehrte diese Glaubensgemeinschaft lange die Polygamie. Bereits Smith selbst führte ein, dass ein Mann seiner Kirche mehrere Frauen heiraten kann (Foster, 1981) und „heiratete“ selbst mindestens knapp 30 Frauen (Jenson, 1887), davon einige Teenager (Compton, 1997; Newell & Avery, 1994). Zumindest teilweise lässt sich erweisen bzw. wird auch offiziell von der Kirche eingeräumt, dass diese „Ehen“ sexuelle Kontakte miteinschloss (Quelle 16). Offiziell stritt Smith diesen Brauch aber ab (z.B. Roberts, 1912). Später, als der Druck der US-Regierung schwer auf der Glaubensgemeinschaft aufgrund dieser Praxis lastete, wurde die Mehrfachehe von der Kirchenleitung wieder verboten (s. „Manifest von 1890“; Lyman, 1994). Es kommt hier doch der Verdacht auf, dass es sich hier lediglich um die Möglichmachung der Lüste und um das politische Taktieren von machthungrigen Männern handelt, anstatt um die Suche nach Gottes Wille, der in Form der Monogamie bereits Jahrhunderte von der christlichen Kirche gelehrt wurde!
Auch rassistisches Denken und Handeln stand dieser Kirche nicht fern. Während bereits das Buch Mormon die dunkle Hautfarbe der sogenannten Lamaniten (eines Volkes, das im Buch eine entscheidende Rolle spielt) als Strafe für ihre Sünden beschreibt (2. Nephi 5:21), praktizierten auch namhafte Kirchenmitglieder Sklaverei (Harris & Bringhurst, 2015). Smith nahm mal positive, mal negative Haltungen gegenüber Sklaverei ein (Reeve, 2015), eventuell aus taktisch-politischen Gründen.
Doch auch sogar vor Gewalt schien Smith nicht zurückzuschrecken. Im Gegensatz zu der von Jesus gebotenen Feindesliebe forderte er als Reaktion auf die Gewalt der Einwohner Missouris, wo sich die Mormonen zu jener Zeit befanden, Rache zu nehmen und sich zu wehren. Smith sah sich dabei in der Tradition Mohammeds: „Wir werden unsere Religion durch das Schwert verbreiten“ (Krakauer, 2003).
Zudem weicht die mormonische Glaubensgemeinschaft in zentralen Punkten in ihrer Theologe vom traditionellen Christentum ab: So wird die Dreieinigkeit abgelehnt; die drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist seien drei zu unterscheidende eigene Gottheiten (Davies, 2003). Gott sei zuvor auch ein Mensch auf einem anderen Planeten gewesen, der dann zu seiner Göttlichkeit aufgestiegen sei (Quelle 22).
Fazit
Resümierend kann festgehalten werden, dass Joseph Smith vermutlich der Urheber des Buches Mormon ist und dieses aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht die Wahrheit enthält, nach der aufrichtige Menschen suchen sollten.
Quellen:
1. Richard Lyman Bushman: Joseph Smith: Rough Stone Rolling. Knopf, New York 2005, ISBN 1-4000-4270-4, S. 49–51.
2. David Persuitte: Joseph Smith and the origins of the Book of Mormon. McFarland & Co., Jefferson, North Carolina 2000, ISBN 0-7864-0826-X, S. 33–53.
3. D. Michael Quinn: Early Mormonism and the Magic World View. 2. Auflage. Signature Books, Salt Lake City 1998, ISBN 1-56085-089-2, S. 43–44.
4. Jon Krakauer: Mord im Auftrag Gottes. Piper, München 2003, ISBN 3-492-04571-5, S. 89.
5. Jonathan Ellis: Fact-checking Mormon History: was Joseph Smith a Convicted Con Man? In: Medium.com. 5. August 2015, abgerufen am 19. Oktober 2024.
6. Coe, Michael D. (Summer 1973). "Mormons and Archaeology: An Outside View". Dialogue: A Journal of Mormon Thought. 8 (2): 41–48.
7. Duffy, John-Charles (October 2008). "Mapping Book of Mormon Historicity Debates Part I: A Guide for the Overwhelmed" (PDF). Sunstone. pp. 36–62
8. Southerton, Simon G. (2004). Losing a Lost Tribe: Native Americans, DNA, and the Mormon Church. Signature Books. ISBN 9781560851813. OCLC 55534917.
9. Davies, Horton (1973). Christian Deviations: The Challenge of the New Spiritual Movements (3rd ed.). Westminster Press. ISBN 9780664249663.
10. https://freemasonry.bcy.ca/history/lds/founders.html
11. Petersen, Sarah (April 2013). "Temple Facts, Stats, and Interesting Stories". The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints. Retrieved 6 May 2022.
12. Foster, Lawrence (1981), Religion and Sexuality: The Shakers, the Mormons, and the Oneida Community, New York: Oxford University Press, ISBN 978-0-252-01119-1.
13. Jenson, A. Historical Record 6 [May 1887]: 233–34.
14. Compton, Todd (1997), In Sacred Loneliness: The Plural Wives of Joseph Smith, Salt Lake City: Signature Books
15. Newell, Linda King; Avery, Valeen Tippetts (1994), Mormon Enigma: Emma Hale Smith (2d ed.), University of Illinois Press, pp. 89, 132, ISBN 0-252-06291-4
16. https://www.churchofjesuschrist.org/study/manual/gospel-topics-essays/plural-marriage-in-kirtland-and-nauvoo?lang=eng
17. Roberts, B. H. (1912), History of the Church, Deseret News
18. Lyman, Edward Leo (1994), "Manifesto (Plural Marriage)", Utah History Encyclopedia, University of Utah Press,
19. Reeve, W. Paul (2015). Religion of a Different Color: Race and the Mormon Struggle for Whiteness. New York City: Oxford University Press.
20. Matthew L. Harris, Newell G. Bringhurst: The Mormon Church and Blacks. University of Illinois Press, Chicago 2015
21. Davies, Douglas J. (2003). "Divine–human transformations". An Introduction to Mormonism. Cambridge: Cambridge University Press. pp. 65–90.
22. Gospel Principles Chapter 47: Exaltation". ChurchofJesusChrist.org.