Von der Möglichkeit zur Notwendigkeit – Das Kontingenzargument für Gottes Existenz

Daniel Ambraß
veröffentlicht am 20.7.2025

Die Frage „Warum gibt es etwas und nicht nichts?“ gehört zu den grundlegenden und ältesten Fragen der Menschheit. In diesem Zusammenhang präsentiert der Kontingenzbeweis einen faszinierenden Ansatz, um die Existenz eines transzendenten Ursprungs, eines unbedingt notwendigen Wesens – Gott – zu begründen. Im Folgenden wollen wir den Kontingenzbeweis detailliert betrachten, seine philosophischen und theologischen Grundlagen erläutern und aufzeigen, wie er im Lichte des christlichen Glaubens eine kohärente Antwort auf die Frage nach dem Ursprung aller Dinge liefert.
1. Grundlagen des Kontingenzbeweises
Der Kontingenzbeweis stützt sich auf die Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen (Leibniz erweitert es um "mögliche") Entitäten. Kontingente Dinge sind solche, deren Existenz nicht zwingend ist – sie könnten auch nicht existieren. Sie sind abhängig von äußeren Ursachen oder Bedingungen. Alle materiellen Objekte, Lebewesen und auch viele abstrakte Entitäten fallen in diese Kategorie. Dagegen steht das **notwendige Wesen**, das seine Existenz nicht von etwas anderem ableitet, sondern sich selbst als unbedingte Quelle aller Existenz präsentiert.
Die grundlegende Prämisse des Kontingenzbeweises lautet: Jedes kontingente Wesen benötigt eine Erklärung seiner Existenz.
Würde man diese Begründung ausschließlich auf eine Kette von Ursachen stützen, die alle kontingent sind, so stünde man vor einem unendlichen Regress – einer endlosen Kette, die niemals einen Ursprung oder einen endgültigen Erklärungsansatz bieten kann.
Daraus folgt zwangsläufig, dass es einen ersten Grund oder eine notwendige Ursache geben muss, die nicht selbst kontingent ist. Dieses notwendige Wesen ist in der theologischen Tradition und insbesondere im christlichen Glauben identisch mit Gott, dem ewigen Schöpfer, der selbst nicht einer Ursache bedarf.
2. Philosophische Entwicklung des Arguments
Der Gedanke, dass es einen ersten unbewegten Beweger oder ein notwendiges Sein geben müsse, hat sich durch die Jahrhunderte in der Philosophie etabliert. Bereits Aristoteles sprach von einem "unbewegten Beweger", der als Ursache aller Bewegung und Veränderung fungiert. Später, im Mittelalter, wurde diese Idee von Thomas von Aquin im Rahmen seiner „Fünf Wege“ ausführlich dargestellt. Besonders der so genannte „Kosmologische Beweis“ argumentiert, dass alles, was in Bewegung ist oder in Veränderung begriffen werden kann, eine Ursache haben muss, und diese Kette der Ursachen muss mit einem ersten unbewegten Beweger ihren Anfang finden.
Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz führte den Gedanken der ausreichenden Begründung ein: „Nichts geschieht ohne Grund.“ Für Leibniz impliziert die Existenz eines Universums, in dem kontingente Dinge vorhanden sind, dass es eine hinreichende Erklärung geben muss, die nicht selbst bedingt ist – eine Erklärung, die letztlich in einem notwendigen Wesen mündet. Diese philosophischen Überlegungen stützen den Kontingenzbeweis und liefern eine intellektuelle Brücke zwischen philosophischer Reflexion und theologischer Offenbarung.
Kurze Erklärung: Kontingenzbeweis (Thomas von Aquin & Leibniz)
Thomas von Aquin argumentiert in seinem dritten Weg "vom Möglichen und Notwendigen" seiner fünf Wege der Gotteserkenntnis mit dem Prinzip *ex possibili et necessario*: Aus dem Möglichen muss das Notwendige hervorgehen. Er schlussfolgert, dass in einer Welt voller kontingenter Dinge ein unbedingt notwendiges Wesen existieren muss, das allen Dingen ihre Existenz begründet.
Leibniz ergänzt diesen Ansatz, indem er annimmt, dass es einen letzten, zureichenden Grund der Dinge geben muss – einen Grund, der außerhalb der Welt liegt und selbst nicht kontingent ist. Dieser letzte Grund wird als Gott verstanden, der als Ursprung und Erhalter aller Existenz dient.
Notwendigkeit erklärt: In der Philosophie und Theologie bezeichnet der Modalbegriff "Notwendigkeit" die Eigenschaft eines Wesens oder einer Wahrheit, in allen denkbaren Realitäten zu existieren – unabhängig von äußeren Bedingungen oder Ursachen. Anders als kontingente Dinge, die nur unter bestimmten Voraussetzungen existieren können und eine externe Erklärung benötigen, existiert ein notwendiges Wesen aus sich heraus und bedarf keiner weiteren Begründung. Im Rahmen des Kontingenzbeweises wird diese Eigenschaft zentral, indem sie den Übergang von einer endlichen, bedingten Welt zu einem unbedingten, ursächlichen Prinzip ermöglicht – was im christlichen Glauben als Hinweis auf Gott verstanden wird, der als ewiger, notwendiger Ursprung aller Existenz gilt.
Im Kontext des Kontingenzbeweises spielt dieser Modalbegriff eine zentrale Rolle: Während alle beobachtbaren Dinge als kontingent gelten, muss es einen ersten Grund geben, der nicht selbst kontingent ist. Dieses unbedingt notwendige Wesen erklärt dann die Existenz der kontingenten Welt, indem es selbst eine nicht weiter erklärbare, universell gültige Existenz besitzt. Die Notwendigkeit drückt hier also aus, dass das Wesen – im christlichen Kontext identisch mit Gott – seine Existenz aus sich selbst heraus ableitet und somit in allen möglichen Realitäten existiert.
Aus modal-logischer Sicht wird oft zwischen logischer Notwendigkeit, physischer Notwendigkeit und metaphysischer Notwendigkeit unterschieden. Beim Kontingenzbeweis liegt der Fokus insbesondere auf der metaphysischen Notwendigkeit: Ein Wesen, das nicht nur in unserer Welt, sondern in allen denkbaren Existenzordnungen präsent ist, kann als Grund aller kontingenten Existenz herangezogen werden.
Diese Betrachtungsweise ermöglicht es, den Sprung von der endlichen, bedingten Existenz vieler Dinge zu einem unbedingten, notwendigen Ursprung nachvollziehbar zu machen. Somit wird die Idee unterstützt, dass die Welt nicht zufällig oder ohne Grund existiert, sondern auf einem Fundament beruht, das per se existiert.
3. Biblische Perspektiven und theologische Vertiefung
Auch die Heilige Schrift bietet Anknüpfungspunkte, um den Kontingenzbeweis zu beleuchten. Bereits im Alten Testament wird Gott als derjenige dargestellt, der „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ ist (Psalm 90,2). Diese Beschreibung unterstreicht, dass Gott nicht den Gesetzen der Kausalität unterworfen ist, die für die kontingente Schöpfung gelten. Gott ist der Urheber und Erhalter aller Dinge, der außerhalb der Kette bedingter Ursachen steht und damit als notwendiges Sein interpretiert werden kann.
Im Neuen Testament finden sich zahlreiche Hinweise auf die Allmacht und Ewigkeit Gottes. Johannes 1,1-3 betont, dass „das Wort“ (als Ausdruck der göttlichen Weisheit) bei Gott war und alles durch ihn erschaffen wurde. Diese Schöpfungslehre verknüpft die kontingente Welt eng mit einem notwendigen, göttlichen Ursprung. Die theologische Konsequenz daraus ist, dass die Ordnung, Schönheit und Komplexität des Universums nicht als zufällige Erscheinungen verstanden werden können, sondern als Hinweise auf einen intelligenten Schöpfer, der das Universum mit Bedacht und Zielgerichtetheit gestaltet hat.
Damals halten es die Astronomen noch für selbstverständlich, dass das Universum schon immer existiert hat.1 Damals bezieht sich gerade einmal auf das Jahr 1927
Ex nihilo nihil fit - Von Nichts kommt Nichts
Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde
Ihre Berechnungen sind korrekt, aber Ihr Verständnis von Physik ist scheußlich.
Dabei beschreibt die Bibel perfekt wie Gott das Universum ins Dasein rief, C.S. Lewis verwendet in Narnia eine schöne Analogie wie Aslan dies in diesen Büchern tat. Übrigens war der Initiator der Urknalltheorie, der Priester und Physiker Georges Lemaître, beauftragt von der katholischen Kirche. Dabei war Anfangs der Begriff "Big-Bang" ein Schmähbegriff von Astrophysiker Fred Hoyle 1950 in einer Radiosendung, denn Niemand glaubte bis dahin an den Urknall, da dieser zu sehr auf einen Schöpfer hinweist. Einstein lehnte den Gedanken anfangs als "scheußlich" ab.2
4. Kritische Betrachtungen und Antworten
Der Kontingenzbeweis ist nicht frei von kritischen Einwänden. Einige Kritiker argumentieren, dass der Übergang von der Existenz kontingenter Dinge zu einem notwendigen Wesen nicht zwingend logisch folgen muss. Sie behaupten, dass es eventuell andere, noch unbekannte Erklärungen für das Bestehen des Universums geben könnte, die nicht in ein traditionell theistisches Weltbild passen. Andere wiederum bemängeln, dass der Begriff des „notwendigen Seins“ unklar sei und einer präzisen Definition bedarf.
Meine Antwort darauf ist, dass die Unterscheidung zwischen kontingent und notwendig nicht nur philosophisch fundiert, sondern auch praktisch nachvollziehbar ist. Alle empirisch beobachtbaren Phänomene unterliegen den Naturgesetzen und bedürfen einer Erklärung – ihre bloße Existenz ruft nach einem ultimativen Erklärungsprinzip. Dieses Prinzip, welches außerhalb der Natur und den begrenzten menschlichen Erkenntnissen liegt, findet seine vollkommene Erfüllung im Gott der Bibel, der sich selbst als Ursprung und Ziel aller Dinge offenbart. Der große Physiker Stephen Hawking erklärt die Existenz des Universum folgendermaßen:
Weil es ein Gesetz der Schwerkraft gibt, kann und wird sich ein Universum selber aus dem Nichts erschaffen. Spontane Schöpfung ist der Grund dafür, dass es etwas gibt und nicht nichts, dass das Universum existiert, dass wir existieren. Es ist nicht nötig, einen Gott heraufzubeschwören, der das blaue Zündpapier in Brand und das Universum in Gang setzt.
Da ich eine Größe wie ihn nicht nur auf Basis meiner eigenen Überlegungen infrage stellen möchte, lasse ich Prof. John Lennox (emeritierter Prof. für Mathematik in Oxford) antworten:
Als Wissenschaftler und Christ würde ich sagen, dass Hawkings Behauptung fehlgeleitet ist. Er möchte, dass wir zwischen Gott und den Gesetzen der Physik wählen, so als würden sie in einem Gegensatz zueinander stehen. Die Gesetze selbst schaffen gar nichts, sie sind nur die Beschreibung von etwas, was unter gewissen Umständen passiert.3
Wenn er uns dazu aufruft, uns zwischen Gott und den Gesetzen der Physik zu entscheiden, ist das so, wie wenn jemand möchte, dass man sich zwischen dem Luftfahrt-Ingenieur Sir Frank Whittle und den Gesetzen der Physik entscheiden sollte, um zu erklären, wie eine Raketendüse funktioniert. Er bringt da die Kategorien durcheinander. Die Gesetze der Physik können erklären, wie eine Flugzeugdüse funktioniert, aber jemand muss sie bauen, mit Treibstoff füllen und sie zünden. Das Flugzeug konnte nicht von selbst ohne die Gesetze der Physik erbaut werden, sondern die Entwicklung und der Bau dieser Düse bedurfte des Genies eines Mannes wie Whittle. Genauso konnten die Gesetze der Physik das Universum nicht erschaffen.
Wie soll die Schwerkraft schon vorher existiert haben? Wer hat sie dahin gebracht? Und was war die schöpferische Kraft für ihre Entstehung?
Immerhin gesteht Hawking ein:
Unserem Universum und seinen Gesetzen scheint ein Entwurf zugrunde zu liegen, der sowohl darauf zugeschnitten ist, uns zu erhalten, als auch, wenn wir existieren sollen, wenig Spielraum für Abweichungen lässt. Das ist nicht leicht zu erklären und wirft natürlich die Frage auf, warum dem so ist. … Die in jüngerer Zeit gemachte Entdeckung der extremen Feinabstimmung vieler Naturgesetze könnte zumindest einige von uns zurück zu der alten Vorstellung führen, dieser große Entwurf sei das Werk eines großen Entwerfers. … Das ist nicht die Antwort der modernen Wissenschaft … unser Universum scheint nur eines von vielen zu sein, von denen jedes andere Gesetze hat.
Argumentiert dabei jedoch mit einer Multiversen Theorie, die per Definition ebenfalls nicht beweisbar ist. Da wir keine Messungen außerhalb unseres Universums durchführen können. Und selbst wenn es Multiversen gäbe, verlagert es die Frage nur. Wie kommen die Multiversen ins Dasein?
Es sei auch darauf hingewiesen, dass der Kontingenzbeweis nicht als isoliertes Argument zu verstehen ist. Er bildet einen Teil der umfassenderen apologetischen Arbeit, die den christlichen Glauben in seiner Gesamtheit zu verteidigen sucht. So ergänzen kosmologische, teleologische und moralische Argumente einander und bieten zusammen ein konsistentes Weltbild, das sowohl den Geist als auch das Herz anspricht.
5. Die Bedeutung des Kontingenzbeweises für den Glauben
Für den gläubigen Christen besitzt der Kontingenzbeweis weitreichende Bedeutung. Er lädt dazu ein, die Schöpfung nicht als zufällige, unbedeutende Ansammlung von Materie zu betrachten, sondern als ein kunstvolles Werk, das einen weisen und mächtigen Schöpfer widerspiegelt. Dieses Verständnis führt zu einer Haltung der Demut und Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer, der nicht nur die Ordnung des Universums initiiert, sondern es auch fortwährend erhält und lenkt.
Darüber hinaus bietet der Kontingenzbeweis eine intellektuelle Grundlage, um in einer zunehmend säkularen Welt den Glauben an Gott zu verteidigen. Er zeigt, dass der christliche Glaube nicht auf blinder Hoffnung oder dogmatischer Tradition beruht, sondern auf einem tiefen Verständnis der Welt, das sich mit den Erkenntnissen der Philosophie und Wissenschaft verbinden lässt. Die Synthese von Glauben und Vernunft ist dabei kein Widerspruch, sondern vielmehr eine Bereicherung, die den Glaubenden dazu ermutigt, in allen Bereichen des Lebens nach der Wahrheit zu streben.
6. Fazit
Der Kontingenzbeweis stellt ein beeindruckendes Beispiel dafür dar, wie tiefgehende philosophische Überlegungen und biblische Offenbarung zusammenwirken können, um die Existenz Gottes zu begründen. Indem er die Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen Wesen beleuchtet, weist er darauf hin, dass das Universum – mit all seinen wunderbaren und komplexen Erscheinungen – nicht aus dem Nichts entstanden sein kann, sondern einen Ursprung haben muss, der selbst nicht bedingt ist. Für den christlichen Glauben ist dieser Ursprung der ewige Gott, der in der Schöpfung nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Erhalter und letztlicher Sinngeber erscheint.
Der Kontingenzbeweis leistet somit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur apologetischen Argumentation, sondern inspiriert auch zu einem tieferen Nachdenken über das Wesen der Existenz und die Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung. In einer Welt, in der Zweifel und Skepsis weit verbreitet sind, bietet dieser Ansatz eine kraftvolle Erinnerung daran, dass hinter allem, was existiert, ein intelligenter und liebender Schöpfer steht – Gott, der uns nicht nur die Gründe für das Dasein offenbart, sondern auch Hoffnung, Sinn und Orientierung in unserem Leben gibt.
Weiterführende Literatur:
Thomas von Aquin: _Summa theologica_. Deutsch-lateinische Ausgabe. Band 1. _Gottes Dasein und Wesen_.
Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie
Edward Feser: Fünf Gottesbeweise: Aristoteles, Plotin, Augustinus, Thomas von Aquin, Leibniz
Winfried Löffler: Einführung in die Religionsphilosophie (Philosophie kompakt)
John Lennox: Hat die Wissenschaft Gott begraben?: Eine kritische Analyse moderner Denkvoraussetzungen