Der Begründer der Urknall-Theorie war Theologe

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Sylvia Barron
veröffentlicht am 29.9.2023

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Hast du schon einmal folgende These gehört?

"Der Urknall ist Unsinn, weil Gott die Welt geschaffen hat."

Oder diese hier?

“Dass das Universum durch den Urknall entstanden ist, beweist, dass es Gott nicht gibt.”

Was die meisten Vertreter von beiden Aussagen wahrscheinlich nicht wissen: Der Begründer der  Urknall-Theorie war Theologe, katholischer Priester und Astrophysiker – alles in einem. Georges  Lemaître hielt seine Reden auf wissenschaftlichen Kongressen im Priestergewand. Er war tiefgläubig – weder hielt sein Glaube ihn davon ab, an den Urknall zu glauben, noch der Urknall davon ab, an Gott  zu glauben. Ganz im Gegenteil. 

Die Inspiration für seine Forschung nahm Lemaître aus der Bibel – die Beweise nicht 

1921 schrieb Lemaître einen kleinen Aufsatz mit dem Titel „Die ersten drei Worte Gottes“, die „Es  werde Licht“ lauten. Darin bemerkt er, dass die Schöpfungsgeschichte in der Bibel zwar keinen  wissenschaftlichen Anspruch erhebt, er aber trotzdem Wahrheiten in Genesis 1 zu finden glaubt: 

Die Wissenschaft könnte der idealen Wahrheit, die sie anstrebt, eines Tages so nahekommen, dass es offensichtlich wird, dass sie einst von Mose in der verschleierten Sprache der Propheten geäußert wurde.

Als Lemaître dies niederschrieb, war die Wissenschaft von der Unendlichkeit des Universums  überzeugt. Dass Gott das Licht schuf, musste entweder falsch oder metaphorisch gemeint sein, denn  wie das Universum war das Licht schon immer da – so glaubte man. 

Parallel zu seinen philosophischen Überlegungen setzte Lemaître sich damit auseinander, ob Materie  aus Wellen oder Teilchen besteht. Sechs Jahre später – er hatte inzwischen am MIT in Cambridge  promoviert – veröffentlichte er einen Artikel über seine Ideen zum Anfang des Universums. Die  kosmologische Rotverschiebung interpretierte er als Dopplereffekt – daraus folgt, dass sich die  Gestirne mit einer ungeheuren Geschwindigkeit von uns wegbewegen. Er schlug ein Ur-Atom vor, in  dem die gesamte heute im Universum vorhandene Materie zusammengepresst gewesen sei. 

Seine Theorie fand zunächst wenig Beachtung. Auch, da sie nach der Meinung seiner Kritiker zu sehr  an eine religiöse Vorstellung von der Erschaffung der Welt angelehnt war. Einer seiner berühmtesten  Gegner war Albert Einstein. „Ihre Berechnungen sind korrekt“, sagte der Begründer der  Relativitätstheorie zu dem Theologen, „aber ihre Physik ist scheußlich.“

Abbildung 1: Lemaître (Mitte) mit Einstein und Millikan, 1933 

Einstein sah weder einen physikalischen noch einen philosophischen Grund für eine Ausdehnung des Universums. Damit seine allgemeine Relativitätstheorie aufging, fügte er eine kosmologische Konstante Λ ein, die die Ausdehnung des Universums ersetzte. Dies bezeichnete er später als seine größte Eselei. Durch Erkenntnisse von Edwin Hubble ließ schließlich auch Einstein sich von der Theorie Lemaîtres überzeugen. 
Heute nimmt die Forschung an, dass es zwar kein Ur-Atom in diesem Sinne gab, aber das wahrscheinlich Raum, Zeit und Materie in einer Singularität entstanden - dem Urknall. Und Lemaître gilt als er Begründer dieser Theorie.

Abbildung 2: Entwicklungsstadien des Universums 

Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.

Elektromagnetische Strahlung - Licht - war das erste, was nach dem Urknall entstand. Und dieses erste Licht erfüllt bis heute als Hintergrundstrahlung das Universum. In einem Artikel im Wisenschaftsmagazin Nature schreibt Lemaître 1931 als Abschlusssatz:

Die ganze Materie der Welt muss im Anfang bereits dagesessen sein, aber die Geschichte, die sie zu erzählen hat, wird Schritt für Schritt geschrieben.

Noch heute fragen sich Wissenschaftler, wie es sein kann, dass das Universum sich so homogen und gleichförmig ausbreitete. Viele Regionen des Ur-Universums hatten keinen Kontakt zueinander, haben sich aber gleich entwickelt - den Forschern stellt sich die Frage nach dem Taktgeber. Was (oder wer?) sorgte für die synchrone Entwicklung? Lemaitre hätte eine Antwort darauf gehabt. Ursprünglich hatte er überlegt, seinen Artikel im Nature so zu beenden.

Ich denke, dass jeder, der an ein alles erhaltendes Höchstes Wesen glaubt, auch glaubt, dass Gott wesentlich verborgen ist, und deshalb gerne sieht, wie die heutige Physik einen Schleier bildet, hinter dem die Schöpfung verborgen ist.

Er entschied sich jedoch dagegen, da er in einem wissenschaftlichen Artikel keine philosophischen Überlegungen anstellen wollte. Doch es offenbart, woran der Astrophysiker und Theologe glaubte - an einen verborgenen Gott, es in Jesaja 45,15 steht: 

Ja, du bist ein Gott der sich verborgen hält!

Anhand von Physik und wissenschaftlicher Methoden können wir tatsächlich nicht zweifelsfrei bestimmen, was vor dem Urknall war oder was außerhalb des Universums ist. Auch die Welt im Kleinsten entzieht sich uns. Wir können nie gleichzeitig den Impuls und den Ort eines Teilchens gleichzeitig bestimmen. Nicht, weil wir schlechte Messgeräte haben, sondern weil dies physikalisch nicht möglich ist, wie die Heisenbergsche Unschärferelation besagt. Die Schöpfung liegt “hinter dem Schleier”, wie es Lemaitre schrieb. Deswegen widersprach er auch Papst Pius XII., der die Entdeckungen als Beweis Gottes verstand. Wie Lemaître es in einem Artikel schrieb:

Die Frage, ob es wirklich ein Anfang oder doch eher eine Schöpfung war (also etwas aus dem Nichts begann), ist eine philosophische Frage, die nicht durch physikalische oder astronomische Überlegungen beantwortet werden kann.

Manche sind sicher froh über diesen Schleier und dass sie nach wie vor an den Zufall glauben dürfen. Wenn Gott zweifelsfrei beweisbar wäre, müsste ja jeder an ihn glauben - aber möchte man wirklich sein Leben nach den Moralvorstellungen Gottes ausrichten? Es passt zu den Bibelversen, in denen es heißt, dass Gott die Augen blind gemacht hat, damit sie ihn nicht erkennen. Denn er möchte, dass die Menschen, die an ihn glauben, ihm und seiner Moral auch folgen - und dafür braucht es die Demut, Gott über sich selbst zu erheben.

6 Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 

Jakobus 4,6

Haben wir die Demut, an etwas Größeres als uns selbst zu glauben?

Bei seinen Forschungen war Lemaitre stets wichtig, dass Gläubige und Nichtgläubige auf die gleiche Art forschen, mit derselben Rationalität und Vernunft. Doch er wusste dank seines Glaubens, dass das Rätsel des Universums eine Lösung hat, weil es von einer Intelligenz geschaffen wurde. Dieser Optimismus beflügelte laut ihm seine Forschung.

Im Anfang war die Vernunft, und die Vernunft war bei Gott, und Gott war die Vernunft
Der Bibelvers aus Johannes 1 wird von den meisten mit “Im Anfang war das Wort” übersetzt. Das griechische Wort λόγος (lógos) kann jedoch auch als Sinn, Vernunft, Definition oder Lehrsatz übersetzt werden. Und so schuf Gott mit seinem Wort ein Universum, das mit dem Verstand analysiert werden kann. 
So glaubte Lemaître auch nie an einen Widerspruch zwischen Forschung und Glaube.

Es gibt keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. [...] Hier haben wir
dieses wundervolle, interessante und aufregende Universum. Wenn wir versuchen,
mehr darüber zu lernen [...], was tun wir dann? Wir suchen nur nach der Wahrheit.
Und ist es nicht ein Dienst für Gott, nach der Wahrheit zu suchen?

Er bedauerte gewisse Geisteshaltungen unter Christen, die wegen eines unzulänglichen Verständnisses der Wissenschaft diese bezweifelten. Denn dadurch entfachten sie Streitigkeiten, die in der Mentalität vieler einen Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft schufen. Dabei ergänzen sich diese so wunderbar.
Weder ist also der Urknall Unsinn, weil er vermeintlich der Schöpfungsgesichte widerspricht. Im Gegenteil, sie diente als Inspiration für die Forschung am Urknall. Noch beweist der Urknall, dass es Gott nicht geben kann. Denn wir werden wahrscheinlich anhand naturwissenschaftlicher Methoden nicht bestimmen können, was den Urknall verursacht hat, weil es außerhalb unserer Messmöglichkeiten liegt.

Der Gesetzgeber der Sterne
Nicht nur der vorher zitierte fünfzehnte Vers aus Jesaja 45 ist interessant, auch den Kontext sollten wir uns anschauen:

Ich bin es, der Licht und Dunkelheit macht,
der Frieden gibt und Unheil schafft.

Ich, Jahwe, bin es, der das alles tut.
Ihr Himmel oben, träufelt Gerechtigkeit herab,
ihr Wolken, lasst sie strömen!
Die Erde öffne sich und bringe Heil hervor,
lasse wachsen Gerechtigkeit.
Ich, Jahwe, habe das bewirkt.“
Wehe dem, der mit seinem Urheber hadert
und doch nur eine Scherbe von vielen Tonscherben ist.
Sagt der Ton vielleicht zum Töpfer:
„Was machst du denn da?“
Hält er ihm vielleicht vor:
„Du hast kein Geschick!“?
[...]

Ich selbst habe die Erde gemacht
und den Menschen auf ihr!
Ich habe den Himmel ausgespannt
und gab den Sternen ihr Gesetz.

Jesaja 45

Heute wissen wir: Die Naturgesetze, die schon seit dem Anfang bestehen und ohne die unser Universum zerfallen würde, die Expansionrate des Universums, die Dimensionen, das Masseverhältnis zwischen Proton zu Elektron, die elektromagnetische Kraft, die Lage der Erde im Sonnensystem und noch so viel mehr machen unser fragiles Leben auf der Erde erst möglich. Wie es Daniela Leitner in ihrem Buch “Als das Licht laufen lernte” schreibt:

Doch warum die Naturkonstanten so sind, wie sie sind und nicht anders? Man weiß es nicht. Fest steht allerdings, dass es gut ist, dass alles genau so passierte, wie es passierte; sonst säßen wir heute nicht hier und könnten uns überlegen, ob es denn nun Zufall oder Absicht war, dass unsere Welt, die nach einer langen, nunmehr seit 13,7 Milliarden Jahren andauernden Reise aus Licht Leben werden ließ und uns deshalb allabendlich einen wunderschön dunklen funkelnden Sternenhimmel präsentiert, so ist, wie sie ist. Bleibt deshalb nur zu sagen: Danke, Licht!

Und danke Gott!