Brutaler Gott im Alten Testament VS Friedlicher Jesus?

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Simon Garrecht
veröffentlicht am 16.4.2025

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„Der Gott des Alten Testaments ist – das kann man mit Fug und Recht behaupten – die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, kinder- und völkermordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“1

Richard Dawkins

Viele Kritiken an Gewalttexten in der Bibel richten sich vor allem gegen das Alte Testament und können dabei, wie wir an dem Zitat von Richard Dawkins sehen können, ziemlich heftig ausfallen. Nach seiner Abhandlung über das Alte Testament macht er in seinem Buch „Der Gotteswahn“ damit weiter, davon zu sprechen, dass es auch im Neuen Testament nicht arg viel anders aussehen würde, auch wenn es dort mit Jesus ethisch gesehen einen deutlichen Fortschritt gäbe.

Den Verweis auf den friedfertigen und liebevollen Jesus, der dem harschen Gott des Alten Testaments gegenübergestellt wird, hört man von verschiedener Seite.

Michael Stürzenberger ist ein islamkritischer Aktivist, der regelmäßig Kundgebungen in verschiedenen deutschen Innenstädten abhält. Manchen dürfte er bekannt sein durch den islamistisch motivierten Messerangriff im Mai 2024 in Mannheim, in dessen Folge es zu dem tragischen Tod eines jungen Polizisten kam. Auf seinen Kundgebungen liest er regelmäßig verschiedene Gewaltpassagen aus dem Koran und anderen islamischen Quellen vor und wird dabei regelmäßig mit der Frage konfrontiert, wie er es denn dann mit der Bibel hält. Stürzenberger ist zwar selbst kein gläubiger Christ, äußert sich aber dennoch immer dazu. Seine Antwort darauf ist repräsentativ für das Denken vieler Menschen. Ich sage einmal in meinen Worten, was er darauf in etwa erwidert: „Ja, das stimmt, im Alten Testament gibt es viele problematische Gewaltpassagen, aber später kam dann Jesus, und er hat das alles dann aufgeweicht und in eine friedliche Religion umgewandelt. Jesus war Pazifist, und für Christen zählt, was er gesagt hat – nicht mehr das Alte Testament.“

Nicht wenige Christen würden sich diesem Denken in stärkerer oder schwächerer Form anschließen und haben in ihrem Glaubens- und Gottesbild Jesus ein Stück weit vom Alten Testament abgekoppelt, weil sie hier glauben, einen Widerspruch zu erkennen.

Das hat verschiedene Reaktionen zur Folge. Eine ist, dass man schwierige Passagen im AT einfach umschifft und sich auf „friedlichere“ Texte und das Neue Testament konzentriert. Eine andere Reaktion wäre, biblische Texte so zu deuten, dass Gott dabei „aus der Pflicht genommen wird“. Eine häufige Herangehensweise ist es dabei, die Gewaltbilder in der Bibel als die falschen Vorstellungen zu betrachten, welche die biblischen Autoren von Gott und seinen Befehlen hatten.

Gerlinde Baumann schreibt in ihrem Buch „Gottesbilder der Gewalt im Alten Testament verstehen“ ihre hermeneutischen Koordinaten für „alttestamentliche Bilder von Gott als Gewalttäter“:

„Im Hintergrund dieser Aussage steht eine grundlegende Einsicht historisch-kritischer Forschung – dass es sich bei der Bibel um eine Sammlung von Schriften handelt, die von Menschen verfasst worden sind. Nicht Gott selbst ist es, der schreibt, sondern Menschen, die in den Texten von ihren ganz unterschiedlichen Erfahrungen Zeugnis ablegen, sie als Folgen des Wirkens Gottes verstehen.“2

Dort, wo die biblischen Texte also von Gewalt sprechen, die Gott anordnet oder die von ihm selbst ausgeht, haben wir es nicht mit Texten zu tun, die von Gott selbst ausgehen, sondern mit dem (falschen) Verständnis, das die biblischen Autoren von ihm hatten. So schreibt z. B. der US-amerikanische Theologe C. S. Cowles:

„Dass der Befehl zur Vernichtung der Kanaaniter Gott zugeschrieben wird, lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass die Israeliten vor dem babylonischen Exil keine Vorstellung von Satan hatten. So wurden alle Dinge – Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, Segen und Fluch – als direkt von der Hand des souveränen Herrn kommend angesehen.“3

Für Cowles zeigt sich in dem, wie sich Gott durch Jesus gezeigt hat, ein großer Unterschied zu dem, wie Gott im Alten Testament „dargestellt“ wird (:28):
„Der Gott, der im Alten Testament dargestellt wurde, war voller Zorn gegen die Sünder, aber der Gott, der sich in Jesus verkörpert hat, ist es nicht.“

Gregory Boyd hat in den letzten Jahren einen Ansatz biblische – insbesondere alttestamentarische – Gewalttexte auszulegen, bekannt gemacht, den er als „kreuzförmige Hermeneutik“ bezeichnet:

„Wir müssen noch weiter gehen und sagen, dass Gott die kreuzförmige Liebe ist und dass es in ihm überhaupt keine nicht-kreuzförmige Liebe gibt. Das heißt, es gibt keinen Aspekt Gottes, der nicht von der gewaltlosen, sich selbst aufopfernden, den Feind umarmenden Liebe geprägt ist, die sich am Kreuz offenbart.“4

Er ist davon überzeugt, dass die Bibel viele verzerrte und sogar böse Darstellungen von Gott enthalte, die man nicht zu rechtfertigen versuchen, sondern vielmehr durch die „Jesus-Brille“ betrachten sollte. Seinen Fokus legt er hierbei auf den gekreuzigten Jesus, in dem sich die ultimative Liebe Gottes offenbare und die einen klaren Blick auf Passagen geben, in denen Gott uns unmoralisch erscheint. Dieser Ansatz spricht manche an, weil er einen von der empfundenen kognitiven Dissonanz befreit, einerseits Gott als gut und liebevoll zu bekennen und gleichzeitig auf Texte zu stoßen, in denen von ihm selbst Gewalt ausgeht.

Wie lassen sich hier also Altes und Neues Testament zusammendenken?

Im Folgenden möchte ich einige Gründe dafür aufführen, weshalb ich davon überzeugt bin, dass sich das Gottesbild des Alten Testaments – bei allen Spannungen – nicht gegen Jesus und das Neue Testament ausspielen lässt.

Der erste und vielleicht wichtigste Grund dafür ist:

Jesus ist der Gott des Alten Testaments

Einer der zentralen christlichen Glaubenssätze ist der Glaube an die Gottheit Jesu.
An verschiedenen Stellen des Neuen Testaments wird deutlich, dass die Autoren des NT davon überzeugt waren, dass Jesus in Anspruch nahm, Gott zu sein – und tatsächlich auch Gott ist.

So gibt es ziemlich klare Stellen, wie etwa 1. Johannes 5,20, wo es über Jesus heißt:
„Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“
Im Johannesprolog wird Jesus als das Wort Gottes, das selbst Gott und Schöpfer aller Dinge ist, identifiziert (Joh 1,1–3).

Jesus machte an verschiedenen Stellen deutlich, dass er in Anspruch nahm, Gott zu sein.
Wenn er sich etwa als „Herr des Sabbats“ bezeichnet (Lk 6,5), sagt er damit aus, dass er selbst der Gesetzgeber dieses göttlichen Gebots – und damit Gott selbst – ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Johannes 5,17–18:

17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke.
18 Darum nun suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat aufhob, sondern auch Gott seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst Gott gleich machte.

Hier wird zum einen deutlich, dass seine jüdischen Zuhörer den göttlichen Selbstanspruch von Jesus als solchen verstanden haben. Zum anderen sehen wir hier, dass der Evangelist Johannes das ebenso tut – denn es ist sein Einschub, dass Jesus „sich selbst Gott gleich machte“.

Dass die neutestamentlichen Autoren Jesus als Gott verstanden haben, zeigt sich nicht nur in direkten Bezeichnungen, sondern auch in ihrer Verwendung alttestamentlicher Texte.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel finden wir in den Eingangsversen des Markusevangeliums (Mk 1,2–3), wo Passagen aus Maleachi 1,3 und Jesaja 40,3 – ursprünglich auf Jahwe bezogen – nun Jesus zugeschrieben werden. In ähnlicher Weise nimmt Römer 10,9–13 die Verheißung aus Joel 2,32 auf und wendet sie auf Jesus an – was die göttliche Identität Jesu im Verständnis der neutestamentlichen Autoren unterstreicht.

Dieser neutestamentliche Exkurs zur Gottheit Jesu soll keinen themenfremden Nebenschauplatz darstellen, sondern klar machen:
Bei Jesus haben wir es mit dem Gott des Alten Testaments zu tun.
Aus diesem Grund lässt sich auch keine wirkliche Trennung zwischen ihnen vornehmen – oder der „pazifistische Jesus“ gegen den „gewalttätigen Gott des AT“ ausspielen, denn Jesus nahm in Anspruch, genau dieser Gott des AT zu sein.

Vor einigen Jahren wollte mich ein Muslim in einen Widerspruch verwickeln, als er mich fragte:
„Hat Jesus Menschen getötet?“
Ich wusste, worauf er hinauswollte, also sagte ich: „Ja, hat er.“
Er, der sich schon innerlich darauf vorbereitet hatte, dass ich seine Frage verneinen werde, war völlig verdutzt, da ich sein Fragenschema gesprengt hatte.
Ich machte weiter:
„Ja, hat er – denn Jesus ist Gott. Und Gott hatte an verschiedenen Stellen im Alten Testament Menschen getötet. Darum hat Jesus Menschen getötet.“

Mir ist natürlich klar, dass dieser Punkt von mir nichts an dem Problem verringert oder erklärt, das manche von uns mit Gewalttexten in der Bibel haben.
Was ich nur hoffe, damit zeigen zu können, ist, dass eine Auseinanderhaltung zwischen Jesus und dem Gott des Alten Testaments theologisch nicht aufgeht – zumindest dann nicht, wenn man diese zentrale christliche Überzeugung teilt, dass es sich bei Jesus um den inkarnierten Gott handelt.

Jesus stellt sich voll und ganz hinter das Alte Testament

An dieser Stelle gehe ich nicht tiefer auf das mosaische Gesetz ein und die damit verbundene Frage, ob die verschiedenen Gesetzesbestimmungen in 2.–5. Mose für uns heute gültig sind. Kurz gesagt: Jesus hat einen neuen Bund mit uns Menschen geschlossen, und in diesem neuen Bund gibt es neue Bundesbestimmungen, zu denen die Gesetze der Mosebücher nicht mehr im strengen Sinne zählen. 

Das ist ein gesondertes Thema und stellt nicht meinen Punkt infrage. Worum es mir gerade geht, ist die Einordnung und moralische Bewertung der alttestamentlichen Texte, wie wir sie durch Jesus finden.
Jesus hatte viele verbale Konflikte mit den führenden jüdischen Leitern seiner Zeit. Doch lesen wir an keiner Stelle davon, dass sein Verständnis vom Alten Testament einen Bruch mit der Autorität oder dem Inspirationsverständnis, wie es bei seinen Konfliktpartnern vorlag, mit sich brachte.

Unzählige Male zitiert er in seinen Predigten und Gesprächen das Alte Testament und hebt in seinen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern und Schriftgelehrten immer wieder die Autorität des Gesetzes von Mose im AT hervor (Mt 15,1–3). Um geistliche Dinge richtig zu verstehen, ist für Jesus die Kenntnis der alttestamentlichen Schriften entscheidend wichtig (Mt 22,29). Jesus distanziert sich an keiner Stelle von dem, was die Texte des Alten Testaments über Gott und sein Handeln aussagen. Er verspürt keinen Drang, den Menschen seiner Zeit mitzuteilen, dass darin ein verzerrtes Gottesbild enthalten sei. Und das, obwohl auch damals schon viele Passagen darin von seinen Zeitgenossen als anstößig empfunden wurden. Das zeigt sich an der Tatsache, dass nur rund hundert Jahre nach dem Tod (und der Auferstehung) von Jesus der Häretiker Markion auftrat und den „guten Gott des Neuen Testaments“ dem „bösen Gott des Alten Testaments“ entgegenstellte.

Von einer solchen Verurteilung oder auch nur Gegenüberstellung oder Relativierung des alttestamentlichen Gottesbildes finden wir bei Jesus keine Spur. Ganz im Gegenteil: Mehrere Male bezieht er sich explizit auf Gottes Gerichtshandlungen in der Geschichte. Siehe: Mt 10,15; 11,21–24; Lk 17,26–32; Mt 24,37–39 u. w. In einer Gesprächssituation, in der er in deutlichen Worten die außerbiblischen Überlieferungen der Pharisäer ablehnt, hätte er die perfekte Gelegenheit gehabt, dasselbe mit biblischen Passagen zu tun. Stattdessen bestätigt er sogar die in der Tora enthaltene Todesstrafe (Mt 15,4). 

Eine Distanzierung findet auch später in der apostolischen Verkündigung nicht statt. Bei Paulus lesen wir beispielsweise, dass Gottes Bestrafungen als Abschreckung, Warnung und Vorbild für Gläubige im Neuen Bund zu sehen sind (1. Kor 10,5–6).

Jesus wird im Neuen Testament nicht einseitig friedlich dargestellt

Auch Jesus spricht über das kommende Endgericht: Lk 17,26–29; Mt 8,11–12; 18,9 u. v. w.
An verschiedenen Stellen wird von „Wehe“-Rufen berichtet, die Jesus über verschiedene Menschengruppen ausruft (Mt 11,21–24; 18,6; 22,7; 23,13–36).

Auch seine Ankündigung, als der Menschensohn „auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit“ zu kommen (Mt 24,30), muss im Kontext des antiken Nahen Ostens in Zusammenhang gebracht werden mit einer Ankündigung des göttlichen Gerichts.
Dieses wurde in der antiken Welt häufig mit Sturm und Wolken verbunden – was auch in den Gerichtstexten des Alten Testaments an verschiedener Stelle getan wird: 5. Mo 33,25; 2. Sam 22,10; Ps 18,9 usw.

Auch bei den Aposteln und den neutestamentlichen Autoren finden wir wieder und wieder, dass das zweite Kommen Jesu mit seinem Gericht verbunden sein wird:
Mt 25,32; Joh 5,22; Apg 10,42; Röm 2,16; 14,10; 1. Kor 4,4–5.

Jesu Rolle im endzeitlichen Gericht ist hierbei keine passive. Besonders im Buch der Offenbarung wird hervorgehoben, dass es Jesus ist, der aktiv Gericht ausübt: Offb 1,7; 19,11–21.

Die Hoffnung auf den wiederkommenden Jesus, der „kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten“, wie wir es im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, ist dabei untrennbarer Teil des christlichen Glaubenszeugnisses.

„He wasn't as harsh as you think, and he is more harsh than you think.“

John Piper

Was er damit sagen will, ist, dass Gott im Alten Testament nicht so rau ist, wie es manchen erscheint – aber gleichzeitig im Neuen Testament rauer, als es vielen bewusst ist.

Es stimmt, dass wir in Jesus die vollkommene, ungefilterte Sicht auf den Charakter und die Natur Gottes bekommen.
Im Kolosserbrief wird dies ausgedrückt in dem Satz: „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kolosser 2,9).
Der Autor des Hebräerbriefs schreibt: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens…“ (Hebräer 1,3).

Doch wenn Jesus die volle Offenbarung des Wesens Gottes ist, dann schließt das auch sein zweites, von ihm selbst vorhergesagtes Kommen als Richter mit ein. Es schließt seine Lehren und ebenso sein Verständnis vom Alten Testament, inklusive dessen Gewalttexten, mit ein. Wer Jesus ernst nehmen möchte, kann ihn nicht von den herausfordernden Texten trennen, die wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament vorfinden.

Wir haben uns schon einige Passagen angesehen, in denen auch im Neuen Testament Gericht Gottes, Strafen und Wehe-Rufe über Menschen, die sich gegen Gott auflehnen, zu finden sind.

Ich könnte natürlich auch viele weitere Passagen zeigen, in denen weitere Seiten Jesu klar werden – seinen Umgang mit den Zöllnern und Sündern, seine Lehren zur Nächstenliebe und Feindesliebe und natürlich ultimativ sein Weg an das Kreuz. Allerdings sind uns diese Facetten aus dem Leben und den Lehren von Jesus ohnehin schon sehr deutlich vor Augen, sodass ich darauf an dieser Stelle nicht eingehen will.

Worauf ich an dieser Stelle aber eingehen will, ist die erste Hälfte aus dem Satz von Piper:
„He wasn’t as harsh as you think.“

Auch das Alte Testament zeigt einen barmherzigen Gott

Mein nächster Punkt hierzu wäre, dass wir auch im Alten Testament ein klares Bild von der Liebe, Barmherzigkeit und Güte Gottes aufgezeigt bekommen. Das AT ist voller Stellen, in denen Gott sich als geduldig, gnädig und barmherzig vorstellt: 2. Mose 34,6; 4. Mose 14,18; 5. Mose 4,31; Joel 2,13 u. w.

Doch es bleibt nicht nur dabei, dass Gott sich selbst auf diese Weise vorstellt. Immer wieder wird durch die Bibel hinweg deutlich, dass Menschen Gott als vergebend, treu, gnädig und liebevoll erleben: Nehemia 9,17; Psalm 86,5.15; 108,5; 145,8 u. w. An vielen Stellen wird Gott überschwänglich gepriesen und gefeiert für seine Gnadenerweise, die er den Menschen auf vielfältige Weise zeigt.

Bei dem Propheten Jesaja lesen wir von einem Gott, der sich hingebungsvoll werbend an Menschen richtet und um ihre Herzen kämpft – die alles im Sinn haben, aber nicht ihn und seine Wege:
Jesaja 65,1–2:
„Ich war zu erfragen für die, die nicht nach mir fragten; ich war zu finden für die, die mich nicht suchten. Ich sprach: Hier bin ich, hier bin ich!, zu einer Nation, die meinen Namen nicht anrief.
Ich habe den ganzen Tag meine Hände ausgebreitet zu einem widerspenstigen Volk, zu solchen, die auf dem Weg, der nicht gut ist, ihren eigenen Gedanken nachlaufen.“

Im Buch Hosea veranschaulicht Gott die Liebe zu seinem Volk in Form einer Prostituierten, die immer wieder von ihrem Mann wegrennt, der sie zurückholt und um sie kämpft, obwohl er sie längst fallen lassen könnte. Ihnen spricht er zu:
„Wie sollte ich dich preisgeben, Ephraim, wie sollte ich dich ausliefern, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich Zebojim gleichmachen? Mein Herz kehrt sich in mir um, ganz und gar erregt ist all mein Mitleid.“ (Hosea 11,8)

Ja, das Alte und wie wir gesehen haben auch das Neue Testament beschreiben Gott als einen Richter. Doch ist dieses Gericht nicht als ein willkürliches Wüten, sondern hat vor allem den Aspekt der wiederhergestellten Gerechtigkeit im Blick. Der Alttestamentler Bernd Janowski bemerkt dazu: 

„Ebenso liegt, wie wir sahen, der Akzent bei der Rede vom ‚Richten‘ Gottes nicht auf dem Verurteilen eines Verbrechers, sondern auf dem Zu-Recht-Bringen bzw. Zum-Recht-Verhelfen des bedrängten Beters (Ps 7,9 u. ö.). Und schließlich findet sich nirgends im Alten Testament die Bezeichnung ‚Gott der Gewalt‘, wohl aber die Bezeichnung ‚Gott der Herrlichkeit‘ (Ps 29,3), ‚Gott der Treue‘ (Dtn 32,4; Jes 65,16) oder ‚Gott des Rechts‘ (Jes 30,18).“5

Man könnte noch einige weitere Punkte anführen, aber ich möchte es an dieser Stelle mal damit belassen, um den Punkt zu verdeutlichen, dass es in meinen Augen eine klare Einheit zwischen dem Gottesbild des Alten und Neuen Testaments gibt.

Fazit

Ein so umfangreiches, komplexes und auch emotionales Thema kann in einem kurzen Artikel natürlich nicht ausreichend behandelt werden. Dennoch ist ein Stück weit klar geworden, dass die künstliche Gegenüberstellung von Jesus und dem “Gott des Alten Testaments” dem biblischen Zeugnis nicht gerecht wird und damit unhaltbar ist. 

Quellen:

1 Dawkins, Richard (2007): Der Gotteswahn. 7. Auflage. Berlin:Ullstein Buchverlage GmbH. S.45.
2 Baumann, Gerlinde (2006): S. 15.
3 Cowles, C.S. (2003): „The Case for Radical Discontinuity“, in Gundry, S.N. (Hrsg.) Show them no mercy. Grand Rapids, MI: Zondervan (Zondervan Counterpoints Collection).
4 Boyd, Gregory (2017): How How the Crucifixion of Jesus Makes Sense of Old Testament Violence.  Minneapolis: Fortress Press. S. 69 (Ebook).
5 Janowski, Bernd (2020). Ein Gott der straft und tötet? - Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments. 4. durchgesehene Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. S. 92-93.