Befürwortete Gott ein Menschenopfer?
Samuel Bayer
veröffentlicht am 30.5.2024
Richter 11,29-40 erzählt die Geschichte des Richters Jeftah, der aufgrund seines Gelöbnisses für Jahwe, seine einzige Tochter opferte.
Viele Kritiker des Alten Testaments, darunter Richard Dawkins, betrachten diese Stelle als weiteres Indiz für die Grausamkeit Gottes. Dawkins ist der Auffassung, das Menschenopfer Jeftahs sei für Gott etwas Angenehmes gewesen und er habe sich an dem besagten Opfer erfreut (Dawkins 2010:336).
Hat er mit seiner Aussage Recht? Ist diese Geschichte ein Beispiel für eine gewalttätige Ader Gottes?
Blicken wir zuerst einmal in die Geschichte selbst:
29 Da kam der Geist des HERRN auf Jeftah, und er zog durch Gilead und Manasse und nach Mizpe in Gilead, und von Mizpe in Gilead gegen die Ammoniter. 30 Und Jeftah gelobte dem HERRN ein Gelübde und sprach: Gibst du die Ammoniter in meine Hand, 31 so soll, was mir aus meiner Haustür entgegengeht, wenn ich von den Ammonitern heil zurückkomme, dem HERRN gehören, und ich will’s als Brandopfer darbringen. 32 So zog Jeftah gegen die Ammoniter in den Kampf. Und der HERR gab sie in seine Hand. 33 Und er schlug sie mit gewaltigen Schlägen von Aroër an bis hin nach Minnit, zwanzig Städte, und bis nach Abel-Keramim. So wurden die Ammoniter gedemütigt vor den Israeliten. 34 Als nun Jeftah nach Mizpa zu seinem Hause kam, siehe, da geht seine Tochter heraus ihm entgegen mit Pauken im Reigen. Sie war sein einziges Kind, und er hatte sonst keinen Sohn und keine Tochter. 35 Und als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sprach: Ach, meine Tochter, wie beugst du mich und betrübst mich! Denn ich habe meinen Mund aufgetan vor dem HERRN und kann’s nicht widerrufen. 36 Sie aber sprach: Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan vor dem HERRN, so tu mit mir, wie dein Mund geredet hat, nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern. 37 Und sie sprach zu ihrem Vater: Du wollest mir das gewähren: Lass mir zwei Monate, dass ich hingehe auf die Berge und meine Jungfrauschaft beweine mit meinen Gespielinnen. 38 Er sprach: Geh hin!, und ließ sie zwei Monate gehen. Da ging sie hin mit ihren Gespielinnen und beweinte ihre Jungfrauschaft auf den Bergen. 39 Und nach zwei Monaten kam sie zurück zu ihrem Vater. Und er tat ihr, wie er gelobt hatte, und sie hatte nie einen Mann erkannt. Und es ward Brauch in Israel, 40 dass die Töchter Israel jährlich hingehen, zu klagen um die Tochter Jeftahs, des Gileaditers, vier Tage im Jahr.
Um die Geschichte richtig einordnen zu können, ist es erst einmal hilfreich ihren innerbiblischen historischen Hintergrund zu kennen.
Die Situation, in der sich Israel im besagten Buch befand, ist die Zeit der Richter. Die Israeliten wohnten im verheißenen Land, welches sie zuvor durch die Führung Josuas erlangten. Der Schreiber des Buches „entwirft ein Geschichtsbild über die Zeit zwischen der Landnahme und den Anfängen des Königtums“ (Hentschel 2012:270).
Die Richter waren von Gott gesetzte charismatische Persönlichkeiten, welche dazu beauftragt wurden, das Volk zu führen und zu leiten. Jenes Volk, das schon zu Beginn des Buches Richter das lebte, was Gott missfiel.
In Richter 2,19;3,7 lesen wir von dem zentralen Problem der Richterzeit. Das Volk ließ sich, entgegen dem Wort Jahwes, mit den anderen Völkern ein, da sie weder Jahwe noch seine Werke kannten (vgl. Richter 2,2.10).
Doch dies allein reizte Gott nicht zum Zorn. Das Zusammenschließen mit den Völkern führte schlussendlich zur Anbetung anderer, heidnischer, Götter. Somit lebte das Volk im Bundesbruch zu Jahwe.
Egelkraut schrieb hierzu:
Insgesamt war es eine dunkle Zeit mit dem „Odium des Niederganges“, in der es letztlich um die nackte Existenz Israels ging: Religiös pervers, ethisch chaotisch, politisch selbstzerstörerisch, ohne Einheit brach man den Bund mit Jahwe (Richter 2,20).
Diese Thematik ist im ganzen Richterbuch zu erkennen. Der Leitsatz: „jeder tat, was recht war in seinen Augen“, ist nicht nur im ganzen Buch erkennbar (Ri 17, 18:1, Ri 19:1), er wird sogar als Schlusssatz des Schreibers gebraucht (21:25).
Aufgrund des Bundesbruches erweckte Jahwe die heidnischen Völker gegen Israel, wie er es schon am Ende des Buches Josuas und zu Beginn des Richterbuches angedeutet hatte (Jos 23:13; Ri 2:22ff.). Das Schreien um Hilfe veranlasste Jahwe, das Volk zu retten. Er gab ihnen die Richter zur Hilfe, um das Volk aus den Bedrängnissen der Feinde zu retten.
Doch sobald die jeweiligen Richter gestorben waren, tat das Volk erneut das, „was böse war, in den Augen des Herrn, und vergaßen den Herrn, ihren Gott“ (Elberfelder Studienbibel 2015:294).
Jeftah, ein Gileaditer, wurde aufgrund einer Bedrängnis durch die Ammoniter vom Stamm Gilead zum Oberhaupt ernannt (Ri 11:5-11). Zuvor jedoch wurde Jeftah von seinem eigenen Volk verstoßen, weil er der Sohn einer Prostituierten war und somit nicht Miterbe sein durfte (Ri 11:1-3).
Jeftahs erste Amtshandlung war es, mit dem König von Ammon zu verhandeln, um einem Krieg zu entgehen (Ri 11:12-27).
Der König willigte nicht ein „weil Israel, als es aus Ägypten heraufzog, [das] Land genommen hat, vom Arnon bis Jabbok und bis an den Jordan“ (Elberfelder Studienbibel 2015:307). Aufgrund dieser Weigerung kämpfte Jeftah, vom Geist erfüllt, gegen die Ammoniter und bezwang sie. Jedoch gelobte er Jahwe zuvor, im Falle eines Sieges, das zu opfern, was ihm als Erstes aus dem Haus entgegenkommt (Ri 11:28-40).
Die letzte Erzählung über Jeftah, handelt vom Krieg zwischen Gilead und Jeftahs Brüdern aus Ephraim. Die Schlacht hatte ein solch großes Ausmaß, dass 42000 Männer von Ephraim starben (Ri 12:1-7).
Der Annahme, dass es sich in der Erzählung über Jeftah um einen grausamen Gott handelt, will ich widersprechen. Die eigentliche Frage, die diesem Text gestellt werden muss, ist: Wie grausam kann ein Mensch sein, der freiwillig solch ein Gelöbnis ablegt?
Um den Sieg gegen die Ammoniter zu erzielen, versprach Jeftah Jahwe ein Opfer, höchstwahrscheinlich ein Menschenopfer. Dass der Text an sich keine eindeutigen Indizien auf ein Tieropfer gibt, bestätigt die Grausamkeit Jeftahs. Das Entsetzen Jeftahs und seine Aussage in Vers 35 signalisieren seine voreilige Tat. Es gab kein Zurück mehr. Woher nahm Jeftah die Idee dieses Gelübdes?
In keiner Stelle des Alten Testaments lesen wir, dass Gott ein Menschenopfer forderte. Ganz im Gegenteil: Er verabscheut es sogar. So verbietet 3. Mose 18 die Opferung eines Kindes für den Gott Moloch:
21 Du sollst auch nicht eins deiner Kinder geben, dass es dem Moloch geweiht werde, damit du nicht entheiligst den Namen deines Gottes; ich bin der HERR.
In 5. Mose 12 verbietet Jahwe dem Volk Israel ihre Söhne und Tochter zu verbrennen, da es ein Gräuel für Jahwe ist und er es hasst:
31 So sollst du dem HERRN, deinem Gott, nicht dienen; denn sie haben ihren Göttern alles getan, was dem HERRN ein Gräuel ist und was er hasst; denn sie haben ihren Göttern sogar ihre Söhne und Töchter mit Feuer verbrannt.
Der Kontext dieser Stelle zeigt auf, dass Jahwe das Volk Israel vor den Bräuchen der Menschen im Land Kanaan warnt. Beispielweise war es ein (positiv hervorgehobener) Akt der Reform Josias, das Tophet* zu verunreinigen, damit niemand seinen Sohn oder seine Tochter opfern konnte.
Davon lesen wir in 2. Könige 23:
10 Er machte auch unrein das Tofet im Tal Ben-Hinnom, damit niemand seinen Sohn oder seine Tochter dem Moloch durchs Feuer gehen ließ.
Im Buch Jeremia tritt Jahwe selbst auf und verurteilt Menschenopfer als etwas, dass nicht seinem Willen entspricht und ihm nie in den Sinn kommen würde:
30 Denn die Judäer haben getan, was mir missfällt, spricht der HERR. Sie haben ihre Gräuelbilder gesetzt in das Haus, das nach meinem Namen genannt ist, um es unrein zu machen, 31 und haben die Höhen des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Söhne und Töchter zu verbrennen, was ich nie geboten habe und mir nie in den Sinn gekommen ist.
Durch Verse wie diese, ist zu erkennen, dass der Kult des Menschenopfers nicht zu Jahwe gehört und somit auch nicht zu seinem von ihm erwählten Volk Israel gehören sollte.
Jeftah war vermutlich nicht nur von Jahwe und seinen Satzungen geprägt, sondern auch von denen eines anderen Gottes. Die Menschenopferung, vor allem das Verbrennen von Menschen, ist unter anderem bei dem Gott Molech zu finden (Vgl. Bonnet/Niehr 2010:159; Mölle 2002:205).
Pehlke schreibt in seinem Buch „Zur Umwelt des Alten Testaments“, dass die Opferung von Kindern häufig „mit dem von den Ammonitern und Moabitern verehrten Gott Molech“ (Mölle 2002:205) in Verbindung gebracht wird. Die Umgebung, in der sich Jeftah befand, war die der Ammoniter.
Der Gedanke des Menschenopfers ist also den Kulten der Umgebung Jeftahs zuzuschreiben, von denen Jeftah beeinflusst war. Doch warum hat Jahwe das Ganze nicht verhindert?
Wichtig ist zu sehen: Es war nicht Gott, der das Opfer forderte. Aber auch wenden Skeptiker ein: Er hat es aber auch nicht verhindert, sondern seinen Teil des Abkommens des Versprechens eingehalten.
Aus meiner Sicht ist diese Frage ist mit dem Leitsatz des Richterbuchs zu beantworten. So lesen wir an verschiedenen Stellen, dass jeder tat, was er selbst für richtig hielt. Das Volk lebte im Bundesbruch zu Jahwe. Und so ist das Buch voller Geschichten über das katastrophale Versagen von Menschen, in das Gott nicht eingriff (Vgl. Ri 19).
Warum Gott seinen Teil des Versprechens einhielt, ist aus dem Schema des ganzen Richterbuches zu entnehmen. Jahwe gab Jeftah seinen Geist, um ihn für die Erfüllung der Aufgabe zuzurüsten. Ethisch unkorrektes Verhalten der jeweiligen Person ist für Jahwe kein Kriterium, die Zurüstung zum Erfüllen der Aufgabe auszuschließen. Dies wird auch an einem anderen Beispiel des Richterbuches erkannt, nämlich bei Simson, von dessen Geschichte wir in Richter 13-16 lesen.
Wegen der eben genannten Punkten komme ich zu dem Schluss, dass Gott von Anfang an nicht hinter dem Gelöbnis Jeftahs gestanden hat, da dieses es eine voreilig und gegen Jahwes Ordnung begangen wurde.
Der Grund, warum Gott Jeftah dennoch den Sieg schenkte, ist ein Gnadenakt Jahwes gegenüber seinem Volk, keine stille Zustimmung des Opfers von Jeftah.
Quellen:
Richard Dawkins (2010): Der Gotteswahn. S. 336. 9. Auflage. Berlin: Ullstein Bücherverlag GmbH.
Hentschel, Georg (2012): Das Buch der Richter. In: Zenger, Erich: Einleitung in das Alte Testament. 8. Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH (Band 1,1)
Egelkraut, Helmuth (2012): In: Lasor, W.S/Hubbard, D.A./Bush, F.W.: Das Alte Testament, Entstehung- Geschichte- Botschaft. 5. Auflage. Göttingen: Brunnen Verlag.
Elberfelder Studienbibel (2015). 5. Auflage. Dillenburg: SCM R. Brockhaus, Witten.
Bonnet, Corinne; Niehr, Herbert (2010): Kultorte, Kulthandlungen und Kultakteure. In: Bitter, Gottfried: Religion in der Umwelt des Alten Testaments ll. Phönizier, Punier, Aramäer. Stuttgart: W.Kohlhammer (Band 4,2)
Mölle, Karl (2002): Die Religion der Kanaanäer. In: Pehlke, Helmut: Zur Umwelt des Alten Testaments. 1. Auflage. Holzgerlingen: Hänssler Verlag.
* Das Tophet ist im Alten Testament ein Ort, welcher im Ben-Hinnom-Tal, nahe Jerusalem zu finden ist und für die Opferung der eigenen Kinder für den Gott Moloch gebraucht wurde.