Das ontologische Argument für Gottes Existenz

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Rolf Marcel Fischer
veröffentlicht am 31.12.2024

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Einleitung: Warum das ontologische Argument fasziniert

Das ontologische Argument (OA) ist eines der ältesten und zugleich faszinierendsten (christlichen) Argumente für die Existenz Gottes und polarisiert, wie kaum ein anderes: Manche halten es für einen Meilenstein philosophischer Denkkraft, andere für einen zirkulären Trugschluss. Dennoch hat es über Jahrhunderte nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Wieso? Es ist nun einmal verführerisch, zu denken, dass man allein durch die Vernunft – ohne auf empirische Beweise zurückgreifen zu müssen – zur Erkenntnis Gottes gelangen könnte.

In diesem Artikel werde ich die Ursprünge des OA beleuchten, seine klassischen Schwächen darstellen, Gödels berühmte Variante erklären und schließlich auf seine apologetische Tauglichkeit prüfen. 

Doch zuerst einmal eine Begriffsklärung:

Was bedeutet “ontologisch”?

Das Wort „ontologisch“ leitet sich vom griechischen ontos (Sein) und logos (Lehre) ab. Die Ontologie ist die Wissenschaft vom Sein, die sich mit den Grundstrukturen der Wirklichkeit befasst. In diesem Kontext beschreibt das ontologische Argument den Versuch, die Existenz Gottes allein durch das Wesen des Seins zu beweisen. Diese Wissenschaft gehört zur Metaphysik – der Lehre vom „Über-Physischen“. Damit ist jedoch nicht das Räumliche gemeint, sondern das, was über das Materielle hinausgeht: das Fundamentale und Notwendige.

Was meint das Wort “Beweis”?

Der Begriff „Beweis“ kann irreführend sein. Beim ontologischen Argument handelt es sich nicht um einen Beweis im empirischen Sinne, wie wir ihn aus Naturwissenschaften kennen. Vielmehr ist es ein deduktives Argument, das durch Vernunftschlüsse die Existenz Gottes plausibel machen soll. Es ist also  kein naturwissenschaftliches Experiment, sondern ein philosophischer Gedankengang, der nach Einsicht und Logik verlangt.

Der klassische Ansatz: Anselms Argument

Der Ursprung des ontologischen Arguments liegt im 11. Jahrhundert, formuliert von Anselm von Canterbury in seinem Werk Proslogion. Dieses Werk hat er als ein einziges großes Gebet verfasst: Es ist eine Anrede an Gott selbst. Eine Haltung und eine Praxis, die auch für die eigenen apologetischen Bemühungen zentral sein sollte. Aber wie funktioniert das OA?

Die Struktur des ursprünglichen Arguments:

Prämisse 1: Gott ist „das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“.

Prämisse 2: Etwas, das nur im Gedanken existiert, ist weniger vollkommen als etwas, das in der Realität existiert.

Schlussfolgerung: Da Gott per Definition das Größte ist, muss er existieren, da ein Gott, der nur gedacht ist, von einem tatsächlich existierenden Gott ontologisch übertroffen würde.

Wer für solche Formen der deduktiven Reduktion nicht viel anfangen kann, hier eine ausformulierte Fassung: 

Stellen wir uns zwei Seinsformen vor: Gott A und Gott B. A und B sind beide „das Höchste, was gedacht werden kann“. Doch anders als A, existiert B nicht nur in der Vorstellung, sondern auch außerhalb der Vorstellung als eigene Wirklichkeit. Aber wäre B dann in einem gewissen Sinn nicht vollkommener/ höher als A? Wenn es also stimmt, dass etwas, was tatsächlich existiert, vollkommener ist, als etwas, was ausschließlich in meinen Gedanken existiert, dann kann es unmöglich sein, dass A nicht existiert. Denn A ist ja das Höchste, was gedacht werden kann. Würde A nur in Gedanken existieren, wäre B vollkommener als A. Das widerspricht aber der Definition von A. Also muss A wirklich existieren. 

Einfacher ausgedrückt:

Wenn Gott Gott ist, ist Gott. Wenn die Definition des Wortes „Gott“ stimmen sollte (Vollkommenheit), dann kann er nicht nicht existieren. Sein Wesen schließt seine Nichtexistenz aus. Dieses Argument funktioniert unter einer Prämisse: Das notwendige Existenz ein wesentlicher Teil dessen ist, was Vollkommenheit ausmacht. Kann etwas vollkommen sein, was gar nicht existiert? Klingt wie ein logischer Widerspruch. 

Immer noch skeptisch? Erst einmal zurecht. Deshalb wollen wir uns den drei Hauptkritiken zuwenden, die in verschiedener Weise den zuletzt genannten Punkt kritisieren.

Die drei Hauptkritiken:

1. Zirkularität: Kritiker behaupten, das Argument sei zirkulär, da es die Existenz Gottes bereits in der Definition voraussetzt. 

Sed contra: Meinen nicht die meisten Menschen mit dem Wort „Gott“ eine Form ontologischer Vollkommenheit? Wenn Gott aber Vollkommenheit meint, bricht die Zirkularität auf: Dann beweist das Argument genau das: Wenn Vollkommenheit notwendige Existenz einschließt, dann kann Gott gar nicht nicht existieren. 

2. Wäre damit nicht alles beweisbar?: Mit dieser Logik könnte man scheinbar die Existenz von allem behaupten, was man nur groß genug definiert (z. B. eines perfekten Drachen).

Sed contra: Dieses Argument wurde schon zur Zeit des Anselm vorgebracht: Man kann nicht einfach Vollkommenheit behaupten und damit die Existenz beweisen: Könnte man so nicht die vollkommene Insel oder den vollkommenen Drachen beweisen? Der Philosoph Immanuel Kant hat es anhand von zehn Münzen dargestellt: Nur weil ich behaupte, zehn Münzen zu besitzen, habe ich noch lange keine zehn Münzen. 

Dieser Einwand liegt nahe, trifft aber nicht den wesentlichen Punkt des OA: Alle genannten Dinge (Münzen, Drachen, Inseln) sind per Definition keine ontologischen Vollkommenheiten: Es ist immer ein noch größerer Drache, eine schönere Insel oder mehr Geld denkbar. Das liegt daran, dass sie begrenzte, kontingente und materielle Wirklichkeiten sind, die immer in den Grenzen ihres vorhandenen Seins existieren: Eine Insel muss nicht wie Rügen aussehen. Sie könnte immer auch ganz anders sein. Die Philosophen nennen das Potenzialität: Es könnte auch anders und damit immer ontologisch vollkommener sein. 

Gott aber ist die Vollkommenheit schlechthin. Er existiert nicht in den Grenzen materieller Wirklichkeit. Es macht sein Wesen aus. Er kann nicht anders sein. Nur in der absoluten Form der Vollkommenheit, einer Entität, die alle Eigenschaften der Vollkommenheit gänzlich in sich vereint, kann das Argument funktionieren. So klug also der Einwand klingen mag, hat dieser die Grundprämisse Anselms nicht verstanden: Denn es geht darum zu zeigen, dass Vollkommenheit notwendige Existenz ausmacht und nicht um sprachliche Tricks. 

Nachdem ich drei Kritiken aufgelistet habe, möchte ich abschließend auf die formale Kritik Immanuel Kants eingehen, die jedoch in den letzten beiden Absätzen schon behandelt wurden. 

3. Kants Einwand: Immanuel Kant argumentierte, dass „Existenz“ keine Eigenschaft sei. Man könne die Definition eines Wesens beliebig erweitern, ohne dadurch dessen Existenz zu beweisen: Etwas existiert nicht, nur weil ich es als existent behaupte. Für Kant ist der Satz „Gott existiert“ keine synthetische Aussage a priori: Es ist keine Aussage, die ich allein aus der Vernunft heraus treffen kann. 

Bonaventura und andere Denker haben versucht, Varianten des ontologischen Arguments zu formulieren und das ursprüngliche damit zu verfeinern, doch es war der Mathematiker Kurt Gödel, der im 20. Jahrhundert eine formal-mathematische Variante entwickelte, die zwar kritisiert wurde, aber im Kern noch unwiderlegt ist. 

Ich greife seine Variante auf, dass sie im Kern noch nicht widerlegt wurde und genau das Problem Kants aufgreift: Er beweist modallogisch, dass notwendige Existenz ein Teil der Vollkommenheit ist. 

Kurt Gödels ontologisches Argument

Der Mathematiker Kurt Gödel nutzte die modale Logik, um die Existenz Gottes als notwendiges Wesen zu formulieren. Bevor ich es darstellte, ein Hinweis: Das eigentliche Argument wurde modallogisch formuliert und kann hier nicht wiedergegeben werden, da die meisten Lesenden keiner bekannten Modallogik mächtig sind. Somit liegt es in der Natur der Sache, dass die folgende Wiedergabe des Arguments unpräziser ist, als das Gödel´sche Argument in Reinform. 

Wichtige Begriffe:
Sein Argument basiert auf präzisen Begriffen, die vorher kurz erläutert werden müssen: 

Positive Eigenschaften: Eine abstrakte Menge von Eigenschaften, die keinen Widerspruch enthalten. Es meint Eigenschaften, die einer Sache zur Vollkommenheit verhelfen. Diese Positivität ist selbstevident. 

Gott: Ein Wesen, das alle positiven Eigenschaften in höchstem Maße besitzt.

Notwendigkeit und Möglichkeit: Ein notwendiges Wesen existiert in allen möglichen Welten, ein mögliches Wesen existiert in mindestens einer.

Die Schritte des Arguments:

1. Ein göttliches Wesen besitzt alle positiven Eigenschaften.

2. Die Existenz eines solchen Wesens ist möglich (es gibt keinen logischen Widerspruch).

3. Was möglich ist, existiert in mindestens einer Welt.

4. Ein göttliches Wesen existiert notwendigerweise, da es alle positiven Eigenschaften besitzt – einschließlich notwendiger Existenz. 


Wer jetzt ein wenig verwirrt ist, darf das ruhig sein. Das Argument funktioniert folgender Maßen: Es gibt eine gewisse Zahl an „positiven Eigenschaften“, deren Existenz Gödel voraussetzt. Diese verhelfen einer Sache zur Vollkommenheit zu gelangen. Ihre Positivität würde in jeder denkbaren Welt positiv sein und verändert sich nicht. Jeder dieser Eigenschaft existiert in mindestens einer möglichen (theoretisch denkbaren) Welt. 

Nun wäre Gott ein Wesen, dass alle diese positiven Eigenschaften vollkommen in sich vereint (Allmacht, Allwissen etc...). Theoretisch ist die Existenz eines solchen Wesens widerspruchsfrei möglich zu denken. Wenn dies der Fall ist, existiert Gott in mindestens einer möglichen Welt. Jetzt kommt der zentrale Teil: Wenn notwendige Existenz eine positive Eigenschaft ist und Gott alle positiven Eigenschaften in vollkommener Form in sich vereint, dann existiert Gott nicht nur in einer möglichen Welt, sondern er existiert notwendigerweise in einer möglichen Welt. Wenn Gott aber notwendigerweise in einer möglichen Welt existiert, existiert er in allen möglichen Welten, also auch in dieser. 

Zusammengefasst: Wenn Gott in einer Welt existiert, muss er in allen Welten existieren, da notwendige Existenz eine seiner positiven Eigenschaften ist. Folglich existiert Gott.

Apologetische Brauchbarkeit:

Auch brillante Philosophen wie Alexander R. Pruss oder Joshua L. Rasmussen haben Varianten dieses Arguments formuliert, die aber alle in einer Form den einen Kritikpunkt bearbeiten: Existenz als Teil der Vollkommenheit. 

Auf dem Papier ist das OA faszinierend und hochkomplex und hängt wie jedes Argument davon ab, ob man die Prämissen akzeptiert, oder nicht. Auch das brillanteste Argument kann angezweifelt werden, wenn man an den Prämissen zweifelt. 

Letztlich ist das OA in all seinen Formen faszinierend für philosophisch Interessierte, aber für die apologetische Arbeit im Alltag kaum praktikabel. Es ist sehr schwierig zu formulieren, ist hoch komplex und für keine Diskussion auf der Straße oder beim Bier tauglich. Es erfordert ein hohes Maß an logischem Verständnis und bleibt schwer vermittelbar. So muss am Ende gesagt werden: Das Ontologische Argument bleibt meines Erachtens ungeschlagen in seiner deduktiven Klarheit und Stärke und ist für den eigenen Glauben sehr bereichernd. Doch braucht es viel Zeit und Denkarbeit, um sich in diese Form des Philosophierens einzuarbeiten. 

Für einen selbst ist es unglaublich bereichernd, für Religionsphilosophen ein Muss, aber für apologetisch Interessierte in der eigenen Arbeit eigentlich unbrauchbar. 

„Sola cogitatione“ – allein durch Denken – kann man Gott zwar erkennen, aber nicht greifbar machen.